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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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. So hatte es Vater vorhin gesagt. Und Leni wusste, was dieses gnade ihm Gott bedeutete. Einmal, als Gott keine Gnade gekannt hatte, musste Alex nicht nur in den Keller, sondern hatte von Vater auch noch einen Faustschlag auf die Schulter erhalten. Am nächsten Abend hatte Alex seiner kleinen Schwester diese Stelle gezeigt – ein Fleck, zu Anfang rot, einen Tag später blau und wieder ein paar Tage darauf dann grün. Im Gegensatz zu ihrem Bruder hatte Leni dieses Grün gefallen, vor allem kurz vor seinem Verschwinden, als es sich in ein ganz seltsames Gelb verwandelt hatte. Aber Leni wollte nicht, dass Alex noch einmal einen solchen Fleck erhielt und sie wollte auch nicht, dass er in den Keller musste. Sie hasste diesen Keller, die Dunkelheit, die vielen Spinnweben. Außerdem fror Alex hinterher immer. Wenn er keine richtige Ausrede hatte, würde Vater ihn für mindestens zwei Tage einsperren. Dann sollte er sich doch lieber ein Bein brechen, dachte Leni, während ihre Mutter das Licht löschte, die Tür aber einen Spaltbreit offen stehen ließ, denn ein gebrochenes Bein war sicher nicht so schlimm wie zwei Tage im Keller. Obwohl – die Ferien hatten ja gerade erst begonnen und mit einem gebrochenen Bein könnte Alex nicht klettern, nicht Fußball spielen, keinen Kasimir durchs Dorf jagen.
    » Aber das Licht anlassen! Bitte.«
    » Im Flur lasse ich es an.«
    Leni hatte Angst, nein, eigentlich stritten zwei Ängste in dem Kind und sie wusste noch nicht, bei welcher dieser beiden Ängste es sich um die stärkere handeln sollte. Sie hatte Angst, dass Alex tatsächlich einen Unfall gehabt haben könnte. Sie wollten zu den Burgruinen und da lauerten Gefahren genug. Umsonst hingen da nicht überall die Schilder mit herabfallenden Steinen drauf. Mutter hatte ihr einmal ein Schild vorgelesen: Betreten auf eigene Gefahr – das klang gefährlich. Vater suchte wahrscheinlich an der vollkommen verkehrten Stelle. Sie hätte ihm einen Tipp geben können, aber … Jetzt meldete sich die zweite Angst und diese betraf Leni viel persönlicher als Alex’ vielleicht gebrochenes Bein: Pipi. Nein, Alex durfte das nicht tun, er würde es aber, wenn sie etwas verrät! Und dann, dann …
    Das Mädchen warf sich auf die andere Seite. Nein, Alex wird es nicht tun müssen. Morgen früh wird er wieder am Tisch sitzen und alles wird gut. Morgen früh.
    Später als sonst schlief Leni ein und sie schlief unruhiger als sonst. Als ihre Mutter sie gegen elf zudeckte, flüsterte Leni den Namen ihres Bruders und schüttelte dabei ihren Kopf. »Kein Pipi. Bitte, kein Pipi.«

14 Angst

    Im Westen erlosch das letzte Glühen abziehender Wolken. Die Welt bedeckte sich mit Dunkelheit, während die Nacht den Kosmos im Berg bereits seit Stunden in ihrem Griff hielt und keine Taschenlampe etwas daran zu ändern vermochte. Im Gegenteil. Jedes Anschalten zeugte vom Bestand dieser Nacht. Der Staub hatte sich gelegt, nach Stunden. Aber selbst hier, im letzten Winkel dieses unterirdischen Reiches, durch den Fässerraum und zwei enge Durchlässe vom Unglücksort entfernt, trug inzwischen alles eine wachsende Schicht winzigster Partikel und Körnchen.
    Als die Decke zusammenbrach und Timi zu schreien begann, hatte Alex als Einziger einen klaren Kopf behalten. Er hatte Kasi hinter sich hergeschleppt, ihn über den Boden gezogen und so vor den umherfliegenden Steinen gerettet. Er konnte dabei weder auf Max und den kleinen Timi noch auf Kasis Schreie Rücksicht nehmen. Die Wunde musste höllische Schmerzen verursachen und Alex wusste, dass er Kasi wahrscheinlich genau mit dieser Wunde über den Boden zog, aber es ging nicht anders, die ganze Burg schien zu beben und über den Kindern einzustürzen. Erst als Alex diesen entferntesten Platz erreicht und Kasi in den hintersten Winkel geschleppt hatte, löste er dessen Fesseln. Und jetzt saß Kasi seit Stunden in eben diesem hintersten Winkel, unbeweglich, überzogen mit einem dünnen grauen Schleier. In der Nachbarecke hockte Alex und neben ihm die beiden Brüder und warteten, dass der Staub sich legte. Immer wieder leuchtete Alex in Kasis Richtung, aber außer Kasis Augen bewegte sich da drüben nichts. Alex’ Taschenlampe wanderte zu ihm und Kasi schloss die Augen. Ein grauer, versteinerter Kasimir, verzaubert von einer alten Berghexe, die dem Kind als einzig Lebendiges noch dessen Augen gelassen hatte. Mit diesen konnte er sehen, aber er verstand nichts. Vor einer Stunde dann dieser dunkle Fleck, dort, wo der Kasi

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