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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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aus Stein mit dem Boden verschmolz.
    Max und Timi verhielten sich ungewöhnlich still, wahrscheinlich, weil sie ebensolche Angst hatten wie er, vermutete Alex. Oder weil Max nicht reden wollte, um nicht über das reden zu müssen, was er mit Kasi getan hatte. Alex konnte es immer noch nicht verstehen. Wäre er nicht nach oben gegangen, um sich fast eine Stunde lang zu sonnen … Alex wischte diesen Anflug von Selbstvorwurf aus seinem Gedächtnis. Nein, er trug ganz bestimmt keine Schuld!
    Alex’ Handy sagte, dass es gleich halb elf sein musste. Man musste sie inzwischen vermissen, in genau vier Häusern in Wittlekofen würden noch Lichter brennen. Vater …
    » Rufus?« Alex hatte sein Rufen nach dem Jungen schon vor über drei Stunden aufgegeben, Timi aber konnte nicht anders, im Zehnminutenrhythmus formte er beide Hände zu einem Trichter und rief nach dem Fehlenden.
    » Jetzt lass es doch endlich, Timi«, sagte Alex, »er hat es bestimmt nach draußen geschafft.« Etwas anderes zu glauben verbot sich von selbst.
    » Wirklich?«
    » Bestimmt. Warum sonst sollte er nicht antworten?«
    Timi fiel spontan eine weitere Möglichkeit ein, aussprechen wollte er sie jedoch nicht. Aber zufrieden wollte er sich auch noch nicht geben, deshalb stellte er die mildere Variante seiner Frage.
    » Und wenn er sich nun verletzt hat und ganz allein da vorn liegt?«
    » Ich …« Ein Hustenanfall unterbrach Alex’ Antwort. Als er sich etwas beruhigt hatte, erklärte er Timi schon zum vierten Mal, dass er, sobald der Staub sich gelegt habe, nach Rufus sehen wolle.
    » Der liegt bestimmt schon in seinem schwarzen Bett«, sagte jetzt Max, »und freut sich.«
    » Lass doch solchen Schwachsinn! Du machst Timi bloß Angst!«
    » Ich würd’s jedenfalls so machen. An seiner Stelle eben.«
    » Du bist aber nicht an seiner Stelle. Zum Glück. Der Schwarze wird Hilfe holen, zwar nicht unbedingt wegen dir und mir, aber für den da.« Wieder wanderte Alex’ Licht zu Kasi. Egal wem die Hilfe galt, Hauptsache es kam bald jemand.
    Die Akkuanzeige auf Alex’ Handy zeigte nur noch ein mageres Strichelchen. Alex wusste, dass er diesen Strich nicht zum Telefonieren verbrauchen würde. Obwohl die Anzeige keine gegenteiligen Erwartungen zuließ, hatte Alex kurz nach dem Unglück alle möglichen Nummern angerufen, angefangen mit der seiner Eltern über Max’ Familie, Schulfreunde, den Handyprovider und zum Schluss die ihm einfallenden Notrufe: Polizei, Feuerwehr. Natürlich behielt die Anzeige auf dem Display recht, der Empfang hier war gleich Null. Selbst außerhalb dieses Gefängnisses musste man auf den Turm hinaufsteigen, wollte man eine einigermaßen stabile Verbindung aufbauen. Trotzdem wählte er auch jetzt wieder willkürlich eine Nummer aus seinen Telefonbucheinträgen, die Hoffnung stirbt zuletzt. Hoffentlich ist der Akku bald leer, dachte Alex. Hoffentlich sind wir vorher hier wieder raus.
    » Ich hab Durst.« Timi wiederholte auch diesen Satz alle zehn Minuten. Alex hatte ihm schon vor gut zwei Stunden versprochen, nicht nur nach Rufus, sondern auch nach ihren Rucksäcken zu schauen und Timi erinnerte Alex nun an dieses Versprechen. »Man kann doch schon wieder ganz gut sehen.« Alex verstand und auch Max hatte den kleinen Bruder verstanden und nickte, machte aber keinerlei Anstalten, selbst in den Unglücksraum zu gehen. Ob Kasi von den Gesprächen etwas mitbekam, ob er überhaupt etwas hörte, ließ sich nicht zweifelsfrei sagen.
    » Also gut, ich gehe.« Alex’ Handy verschwand in der Hosentasche. »Ihr bleibt hier«, Max zog die Augenbrauen nach oben als wollte er fragen, wo sie denn hingehen könnten, »wenn ich Hilfe brauche, rufe ich. Verstanden?« Alle außer Kasi nickten. »Und lass ihn bloß in Ruhe.« Der Taschenlampenstrahl wanderte zu Kasi.
    » Ja«, knurrte Max. Es klang aber weder nach Betroffenheit noch Scham, vielmehr genervt, als wollte er an das alles nicht weiter erinnert werden.
    Alex verschwand im Durchgang.
    Im Gegensatz zu ihrem Unterschlupf hing im anschließenden Raum mit den Fässern noch ordentlich Staub in der Luft. Alex zog sich den Saum seines T-Shirts über Mund und Nase und sah sich um. Alles erinnerte ihn an Filme über die Welt nach einem Atomkrieg: Großes und Kleines verschwand unter einer fingerdicken Staubschicht, Konturen glichen sich einander an. Winter, der erste unberührte Schnee und Alex trat in diesen Schnee und es knirschte, als liefe er tatsächlich über Eiskristalle, nicht über Dreck und

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