Apfeldiebe
hieß nicht Leuchten , sondern Blut . Max’ Lippen glänzten rot und an Nase und Kinn seines Freundes klebte ebenfalls Blut. Zuerst dachte Alex, dass Kasi Max getreten oder gestoßen haben musste, dann aber gab der Gefangene selbst die Antwort. Er drehte sich langsam um sich selbst und Alex sah eine tiefe Wunde am Oberarm des Jungen, eine Wunde, die in ihrer Form und Größe ziemlich genau Max’ aufgerissenem Mund entsprach. Blut lief über den zur Decke weisenden Arm, über Schulter und Oberkörper. Dieser schneeweiße Körper zuckte und Alex hörte Kasis Jammern, unterdrückt, erstickt. Max aber starrte Alex nur wie aus einem Traum heraus an und sagte kein Wort. Max wartete auf das, was jetzt passieren musste, wartete auf die Befehle seines Ritters, aber es kamen keine Befehle. Und kein einziges Wort der Anerkennung und des Lobes.
Alex stolperte an Kasi vorbei in den Raum, warf die Rucksäcke zur Seite und stürzte sich auf Max. Sicher, Kasi war unwichtig, ein Mädchen, eine Brillenschlange, aber …
» Spinnst du?« Max verstand überhaupt nichts mehr. Warum stieß Alex ihn zur Seite? Was sollte das?
Im selben Moment, da Alex seinen Freund gegen die Wand drückte, rutschte Timi nach unten, dicht gefolgt von Rufus. Timi wollte nicht als Gefangener enden, wollte nicht wie Kasi von einer Decke baumeln. Er flüchtete in den Berg, duckte sich unter Kasi hinweg. Zwei Lampen lagen am Boden, die eine leuchtete in den Kessel, die andere quer durch den Raum. Vier Füße (Tänzer?) kreuzten immer wieder den Lichtkegel und wirbelten Staub auf, Bodennebel. Instinktiv flüchtete Timi ans andere Ende des Raumes, dahin, wo sein Bruder mit Alex rang.
» Der Schwarze! Der Schwarze kommt!« Timis Stimme überschlug sich. Die Tänzer stoppten ihren Reigen, im selben Augenblick erschien Rufus’ Lampe und blieb an Kasimir hängen. Zu Worten unfähig starrte Rufus sekundenlang auf das von der Decke baumelnde Paket, wie es sich drehte, ein Nichts im Wind.
» Spinnt ihr?!«, flüsterte Rufus. Er erwartete keine Antwort. Wer das hier tat, der antwortete nicht, der versteckte sich höchstens. Er ließ die Lampe fallen, hob Kasi an, aber seine Kraft reichte nicht, um den Jungen zu befreien. Er sprang zur Decke, zwei Mal, drei Mal und jedes Mal fehlte eine Handbreit. »Helft mir!« Am anderen Ende des Raumes bewegte sich niemand. Max zuckte kurz, aber weniger um Rufus zu helfen als um diesen zu packen, zu fesseln und an einem anderen Haken aufzuhängen. Aber Alex stand vor ihm und Alex bewegte sich nicht, obwohl er es wollte. Alex wusste, dass sie Kasimir sofort befreien mussten, Rufus’ Erscheinen aber hatte die Situation verändert. Rufus würde das Mädchen an der Hand vom Berg führen – kein Turnier. Die beiden würden nach Wittlekofen gehen und ihre Version dieses Tages verbreiten.
Rufus bückte sich nach seiner Lampe und leuchtete zu den anderen hin. Zwei, drei Sekunden starrten sich die Kontrahenten in die Augen. Timi sah zu Boden.
Manche Dinge musste man allein erledigen. Rufus sagte etwas von Idioten und bereuen , packte den Schemel und stellte ihn neben Kasi. Jetzt erst entdeckte er die Wunde und das dem Freund in den Mund gestopfte T-Shirt. Er zog es heraus, konnte aber die Augen nicht von Kasis Oberarm reißen. »Was habt ihr mit ihm gemacht?« Rufus flüsterte, aber jeder im Raum hörte und verstand seine Worte.
» Das war ich nicht«, sagte Alex, »das …« Was er noch sagte, ging in Kasis Schrei unter. Kasi schrie die Schmerzen, die Angst der vergangenen Stunde hinaus, seinen Zorn.
Rufus stieg auf den Schemel und seine Hände erreichten nun endlich den Haken. Er klemmte sich die Taschenlampe in den Hosenbund und versuchte mit beiden Händen, den schreienden Freund anzuheben. Es gelang, ein Fingerbreit fehlte höchstens noch, da kapitulierte der Schemel unter dem nun doch zu großen Gewicht. Ein Bein brach, die Ketten krachten mit all ihrem daran hängenden Gewicht zurück in den Haken, Rufus spürte, dass er stürzte, klammerte sich an die Ketten und wie zuvor für den Schemel erwies sich nun auch für diesen Haken die schlagartige Verdoppelung des an ihm zerrenden Gewichtes als zu groß. Kasis Schreie brachen ab und alle im Raum hörten plötzlich zuerst ein Knacken, unmittelbar danach einen Knall. Irgendetwas zerbrach und Rufus erkannte als Erster, um was es sich handelte. Er sah nach oben. Die in seiner Hose steckende Lampe beleuchtete einen fingerdicken Riss. Dieser begann kurz vor dem Haken, an dem er und
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