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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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erinnerte sich. Rufus wollte ihn befreien. Deshalb tat sein Rücken so weh, der Sturz auf den Boden. Oder Max’ Schläge? Schläge, mit der Faust, in den Rücken und immer wieder auf dieselbe Stelle. Der Lärm, Donner – eine eingestürzte Decke?
    Was Kasimir, Max und Timi schließlich mit eigenen Augen sehen mussten, überstieg deren schlimmste Erwartungen, ja selbst Alex blieb wie angewurzelt stehen. Der von Alex bereits in der Nacht entdeckte Schuttberg hatte sich bewegt. Gute zwei Meter weiter ragte er nun in den Raum und aus der Öffnung in der Decke rieselten immer wieder kleinere und kleinste Steinchen, hüpften die Rampe nach unten. Einige kullerten durch den gesamten Raum und landeten vor den Füßen der Kinder. Wieder hing Staub in der Luft.
    » Deshalb der Krach eben«, sagte Alex. »Da ist noch mal ein ganzer Haufen nachgerutscht.«
    » Sieht man jetzt Licht?«
    » Von oben?«
    » Natürlich von oben. Woher denn sonst, Mann? Scheint schon die Sonne? Wie spät ist es, Alex?« Alex nahm sein Handy, aber wie beim Einschlafen schon erwartet, hatte sich inzwischen auch der letzte Strich verabschiedet und das Handy in ein totes Stück Technik verwandelt. Unnütz. Alex schüttelte nur den Kopf und steckte das Stück Technik zurück in die Hosentasche.
    » Hat jemand eine Uhr?« Keine Antwort. Also gab es nun nicht nur kein Tageslicht und keinen Kontakt nach draußen, sondern auch keine Uhrzeit mehr. »Müsste irgendwann am Morgen sein, vermutlich. Vielleicht ist ja die Sonne noch gar nicht aufgegangen.«
    Kasimir verstand erst in diesem Augenblick wirklich, was sich am Vortag zugetragen haben musste. Er hatte die Stunden nach dem Unglück, nach seiner Befreiung, wie in Trance verschlafen, jetzt aber stand er der Wirklichkeit gegenüber. Nein, kein Traum, kein dummes Geschwätz, kein Märchen – sondern Wirklichkeit, ein bis an die Decke reichender Berg Wirklichkeit, eine Wirklichkeit, die jeden Erwachsenen erschlagen konnte. Kasimir starrte auf den Schutthaufen. Max’ Lampenstrahl wanderte darüber hinweg, erreichte die Decke, den Boden und wieder dieses Loch da oben, einen Trichter, welcher Kasimir wie der aufgerissene Rachen eines Monsters vorkam. Kasimirs Blicke folgten dem Weg des Lichtes, ein Licht aber, welches nichts erhellte, keinen Ausweg zeigte, sondern nur verwirrte und Mutlosigkeit auf den Betrachter häufte. Mutter und Vater werden sich Sorgen machen, nein, keine Sorgen – sie werden vor Angst um ihn halb verrückt durchs Haus rennen. Wahrscheinlich waren sie seit Stunden irgendwo unterwegs und suchten nach ihm. Aber wo? Wo sollten sie suchen, er hatte sie schließlich belogen.
    » Rufus hat es nach draußen geschafft?« Eine Frage wie ein Eiskristall, so zart und durchscheinend. So zerbrechlich. »Hat er?« Alex nickte und legte Kasimir die Hand auf die gesunde Schulter.
    » Natürlich hat er es geschafft.« Hoffentlich. »Und jetzt gehen wir zurück und frühstücken!«

    Alex’ letztes Wort wirkte wie ein Zauber auf die kleine Gruppe, wie ein guter Zauber. Nein , sagten diese Worte, dieser Haufen da, dieses bis zur Decke reichende Ungetüm ist und bleibt nur ein Berg Steine, mehr nicht. Einen Berg Steine kann man aus dem Weg räumen.
    Er hat aber den Ausgang versperrt? Na wenn schon, dann dauert es eben ein paar Stunden. Was sind schon vier oder sechs oder neun Stunden, wenn noch ein ganzes langes Leben vor einem liegt? Was bedeuten diese Stunden, wenn da draußen Erwachsene suchen und graben und finden? Ein Abenteuer, was sonst?
    Danach gefragt, hätte in diesen Minuten einzig Kasimir den Begriff Abenteuer infrage gestellt, aber ihn fragte niemand. Doch die Normalität, welche Alex’ Worte vorgaukelten, die Aussicht auf baldige Befreiung legten auch über ihn ein Zaubertuch, ein Tuch, welches eben noch unerträgliche Schmerzen in Pochen wandelte. Nur Kasis Angst vor Max vermochte dieses Tuch nicht zu überdecken, aber, ein Blick des Jungen genügte: Max’ Interesse galt mittlerweile anderem, denn er, der doch hin und wieder ganz offiziell den Sinn der eigenen Existenz mit Essen definierte, hatte über den Schock ihrer Gefangenschaft und der dieser Gefangenschaft höchstwahrscheinlich folgenden Bestrafung die Bedürfnisse seines Körpers schlichtweg vergessen. Als habe jetzt aber dieses eine Wort nicht nur das Sättigungsbedürfnis erweckt, drehte Max sich zur Seite, klemmte die Lampe unters Kinn und fingerte an seiner Hose herum.
    » Ich muss mal.«
    » Aber doch nicht hier«, sagte

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