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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Gelegenheit genutzt und sich zu einem ordentlichen Menschen entwickelt, ganz anders als all die Bälger, die heute die Gegend hier unsicher machten. »Alles Diebe. Ohne Respekt.« Hasso atmete einmal tief durch, als hätte er jedes Wort verstanden. Mein Herrchen hat ja so recht , sagte dieses Schnaufen. Alles Diebe .

16 Das letzte Frühstück

    Nein, dieser Lärm gehörte nicht mehr zu Kasis Traum! Der Boden unter dem Jungen vibrierte! Reiter, die Reiter kamen! Pferde galoppierten durch den Kopf des Jungen, die Reiter schrien, ihre Stimmen überschlugen sich!
    Kasi sprang auf, schwankte. Er wollte weglaufen, stieß gegen eine nicht in seine Traumwelt passende Wand, riss beide Arme nach oben und schrie auf. Ein Huf musste seine Schulter getroffen haben. Nicht nur die Schulter, der ganze Arm schmerzte als habe jemand, während er schlief, ein glühendes Hufeisen in sein Fleisch gebrannt.
    » MAMA!«
    Die Wand zitterte unter den Fingern des Jungen, gefangen in einem Karton aus Stein und da draußen, außerhalb dieser kartonierten Traumwelt, hielt ein Riese das Gefängnis in den Händen und schüttelte es. Kasi stürzte zu Boden. Warum ging die Tür nicht auf? Warum schaltete Mutter das Licht nicht an? Sie musste ihn doch gehört haben! Warum konnte er seinen rechten Arm kaum bewegen? Woher kamen diese Schmerzen, dieses unerträgliche Brennen? Und weshalb besaß die ihn umgebende Nacht eine so endgültige Vollkommenheit, dass der Junge sie als etwas Körperliches empfand, als ein Wesen oder einen Zustand, der ihn gefangen hielt? Er kroch über den Boden, stieß gegen die Wand, Schreie. Ein Licht blitzte auf, zuckte durch diese Dunkelheit und zerstörte sie und plötzlich, als sei dieser Lichtstrahl das verabredete Signal, verstummte der Lärm, beruhigte sich der Boden.
    Mama?
    » Max!« Kasi kam diese Stimme bekannt vor. Timi? Was tat Timi in seinem Traum?
    » Hier!«
    Kasimir identifizierte Max’ Stimme und zuckte zusammen. Ohne um den Grund seiner Angst zu wissen, drückte er sich gegen die Wand, zog beide Beine an und versteckte das Gesicht.
    » Was ist passiert?«, schrie Alex.
    » Der Berg stürzt ein!«
    » Ich hab Angst!« Timi weinte und Kasimir wartete auf eine erwachsene Stimme, eine Stimme, die Timis Angst verscheuchte, die sich auch der eigenen Angst annehmen konnte. Aber niemand tröstete den Kleinen. Warum kam niemand und nahm Timi in den Arm, streichelte ihn, bis der Schlaf ihn wieder mit sich nahm? Warum? Kasimir hob den Kopf. Der Lichtkegel verdoppelte sich – zwei weiße Finger, die Lehmboden streiften, einen Boden voller Staub und Fußabdrücke; die eine gewölbte Decke berührten ohne diese zu zerbrechen; die drei Kinder zeigten.
    Es dauerte fast eine Minute, bis Kasimir den Weg zurück in diese Wirklichkeit der Taschenlampen fand. Er schüttelte die letzten Fetzen seines unterbrochenen Traumes ab, die Reiter flogen davon und ließen ihn mutterseelenallein zurück – einen halbnackten Zehnjährigen, umgeben vom Bösen. Kasimir erinnerte sich an das Gestern. Wie lange hatte er geschlafen? Oder hieß der Schlaf Ohnmacht und eine Nacht drei oder fünf oder sechs ? Die Stimmen gehörten Timi und Alex und, Kasi drückte sich in seine Ecke, Max. Max schrie.
    » Scheiße! Meine Lampe!« Etwas flog durch den Raum. Die von Max beim Einschlafen brennen gelassene Lampe knallte nur einen Meter neben Kasimir gegen die Wand. Kasi zuckte zusammen. Nadelstiche.
    » Max!«
    » Ruhe jetzt!« Alex’ Stimme dröhnte, als spräche er durch ein Megaphon. »Ruhe!« Die beiden Lampenfinger versammelten sich am Ausgang und leuchteten in ein mannshohes, schwarzes Loch, in den Durchgang zum Raum mit den Fässern. Erwarteten sie jemanden?
    » Irgendwas ist eingestürzt!« In Max’ Stimme schwang Angst. Wenn sich das Böse fürchtet, hoffte Kasimir, ist es nicht länger böse und gefährlich. Oder erst recht, wie ein in die Enge getriebenes Raubtier, lautete das Gegenargument, welches er doch gar nicht hören wollte.
    » Das sind die von draußen!« Alex wusste als Erster und Einziger eine Erklärung für den Lärm und das Zittern des Raumes. »Die arbeiten dort oben! Die suchen nach uns!«
    » Hallo!« Max brüllte so laut er konnte. Kasimir hielt sich die Ohren zu. »Hier sind wir! Hier hinten!«
    Stille. Alle vier hielten den Atem an und lauschten. Aber die ersehnte Antwort blieb aus. Keiner bewegte sich. Die Kinder hörten das Rauschen der eigenen Lebendigkeit in ihren Ohren, sie hörten sich atmen und zwei- oder

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