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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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dreimal ein fernes Rumpeln aus dem vorderen Raum, als sei da noch ein letzter Stein aus der Decke gefallen. Nicht einmal die Kinderschatten an den Wänden bewegten sich, jeder wartete auf eine ihm bekannte Stimme. Sie warteten auf die Erlösung. Aber vergebens. Max brach als Erster die Stille.
    » Aber sie müssen uns doch gehört haben.« Er flüsterte, wie er zuvor in Kasimirs Ohr geflüstert hatte.
    » Vielleicht sind sie …«
    » Hallo!!!« Max wollte Alex’ Vielleicht nicht hören. Er schrie und auch Timi fiel in diese Schreie ein und die Gewölbedecke fing die Worte auf und warf sie zurück und weiter in den Raum mit den Fässern. Aber auch der wollte die Hilfeschreie nicht behalten, spuckte sie aus: überall Timis und Maxens und alle schrien sie.
    » Hört auf jetzt! Ihr bringt mit dem Lärm noch alles zum Einsturz!« Das wirkte. »Die arbeiten dort oben und durch die Erschütterungen sind ein paar Steine nachgerutscht.«
    » Und warum antwortet niemand?«, wollte Timi wissen.
    » Weil sie noch nicht durch sind. Wir sind hier zwei Stockwerke in der Tiefe, das dauert eben.«
    Timi schwieg und dachte über Alex’ Worte nach. Und auch Kasimir dachte über das Gehörte nach. Richtig, sie befanden sich ja unter der Burg. Aber warum gingen sie nicht hinaus? Warum saßen sie hier und schrien um Hilfe? Kasimir lauschte den Worten der anderen ohne diese zu verstehen. Was sollte sie daran hindern, diesen Raum auf demselben Weg zu verlassen, wie sie ihn betreten hatten?
    » Warum gehen wir nicht einfach rauf?« Kasimir flüsterte, aber jeder hatte ihn verstanden. Und verstand nicht, warum Kasimir diese Frage stellte.
    » Hä? Bist du bescheuert?« Max fuhr herum und der Lichtfinger (natürlich gehörte Timis Lampe jetzt dem großen Bruder) blendete Kasimir. »Der Eingang ist eingestürzt, falls du es vergessen hast! Wegen dir sitzen wir hier in der Falle! Wegen einer bescheuerten Brillenschlange!« Der Lichtfinger drehte ab und beäugte Wichtigeres. Kasimir nahm den Arm von den Augen. Hatte er wirklich an der Decke gehangen und Max … Und dann geschrien und Alex kam und … Rufus?
    » Wo ist Rufus?«
    » Der ist draußen«, sagte Alex. Er sprach ganz ruhig, normal, als unterhielte er sich mit seinesgleichen. »Der Schwarze hat es geschafft und hat Hilfe geholt.«
    » Abgehauen ist der Feigling«, schilderte Max seine Sicht der Dinge. »Hat uns im Stich gelassen und gibt jetzt da draußen seine Lügengeschichten zum Besten.«
    Rufus ist kein Lügner . Kasi wollte das gerade sagen, als sich mit einem Mal zwei Synapsen im Kopf des Kindes die Hände reichten und gemeinsam viele der verschlossenen Türen und Fenster seiner Erinnerung aufstießen. Die ihn beschützende Dunkelheit zerbröckelte, der Pegel des Gestern stieg und ehe Kasi überhaupt recht begriff, was sie mit ihm gemacht hatten, stand er auch schon bis zum Hals in einem Sumpf aus Schmerzen, Demütigung und Angst. Er hing an der Decke. Kasis Blick wanderte zu seinen Hand- und Fußgelenken: Armbänder aus Roststaub, wunder Haut und getrocknetem Blut. Plötzlich konnte er noch einmal Max in sein Ohr flüstern hören, konnte ihn riechen. Und spüren! Kasis Schulter verdoppelte ihre Anstrengungen, die Erinnerung durch Schmerzen zu übertünchen, aber es half nichts, durch die nun weit aufgestoßenen Tore flutete das Gestern in Kasis Kopf und trieb das Kind in den hintersten Winkel des Raumes. Kasimir krabbelte davon, fort von seinen Erinnerungen, fort von Max. Er drückte sich gegen kaltes Gestein, wimmerte, zitterte und watete dabei noch einmal durch jede einzelne vergessene Sekunde. Sie klebten an ihm und das Kind an ihnen wie ein Insekt in einem Spinnennetz. Und mit jeder weiteren Vergessensbewegung verstrickte er sich tiefer in das, was er doch vergessen wollte. Da drüben stand Max, zwar mit dem Rücken zu ihm, aber er stand da. Der Peiniger befand sich hier, nur wenige Schritte von seinem Opfer entfernt. Kasimir spürte noch einmal seinen Aufprall, als die Decke eingestürzt war, noch einmal, wie ihn jemand an den Ketten über den Boden zerrte. Alex?
    Von den anderen Kindern nahm zuerst keiner etwas von dieser Kasi überfallenden Veränderung wahr, zu sehr konzentrierten sie sich auf ihre Hoffnungen und Wünsche. Dann aber drehte Max sich um und ein zitterndes Häufchen Kind erschien im Rampenlicht.
    » Was is’n mit dem los?« Auch Alex’ Lampenstrahl riss sich von der Verheißung – dem Ausgang – los und wanderte zu Kasimir. Max starrte auf das

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