Apfeldiebe
und schnippte. Das Geschoss prallte von der Wand ab und fiel in den Staub.
Timis Finger wanderten ganz von allein unter sein Shirt und umklammerten den silbernen Super-Jesus. Erst jetzt biss er in den Apfel und hoffte, dass dieser nicht wie im Märchen vergiftet war. Und er hoffte, dass Jesus Max das mit dem Papier eben und das vom Vortag nicht übel nahm. Und Timi hoffte, nein: er betete, dass Jesus sie aus diesem Loch hier retten mochte. Jesus oder Rufus und die Leute aus dem Dorf, egal, Hauptsache gerettet.
Während Timi an seinem Apfel knabberte, beobachtete er Kasi. Der Achtjährige störte sich daran, dass Kasimir ganz allein da drüben saß, während Alex, Max und er selbst eine kleine Gruppe bildeten. Timi spürte die Wärme seines Bruders. Kasi fror sicher. Aber er zitterte nicht, aß sein Brot und nahm dazwischen immer wieder einen kleinen Schluck aus der noch immer halbvollen Flasche. Ob Kasi ihm vielleicht etwas abgab, etwas von seinem Essen und Trinken? Die Frage beantwortete sich Timi mit einem klaren Nein, schließlich war er Max’ Bruder und Max Kasis Feind. Feind? Na ja, vielleicht nicht unbedingt Feind, aber ganz bestimmt nicht sein Freund. Erst einmal wieder draußen, würde Kasi wohl nie wieder mit ihnen spielen, vielleicht sogar niemals wieder ein Wort wechseln und das alles nur wegen Max. Der hatte inzwischen seinen Muffin in sich hineingestopft und schielte nun abwechselnd auf Alex’ Brötchen und Kasis Brot. Und auf die Trinkflaschen der beiden. Timi wusste genau, was Max dachte und insgeheim freute er sich darüber, dass er selbst bis auf den Apfel weder etwas zu essen noch Flüssigkeit besaß, Max hätte ihm beides längst weggenommen. Aber auch einen Apfel konnte man wegnehmen, wie Timi sofort erfuhr. Plötzlich nahm der große Bruder Timi den Apfel aus der Hand und biss zwei Mal davon ab.
» He! Das ist meiner!« Timi sprang auf, Max aber drehte sich einfach um, biss ein drittes Mal zu und gab anschließend nicht mehr als ein Kerngehäuse mit Stiel daran zurück.
» Ich hab solchen Durst«, sagte Max mit vollem Mund und lächelte seinen Bruder alles andere als ehrlich an. Apfelstückchen klemmten zwischen Max’ Zähnen und Saft lief ihm aus dem Mundwinkel. Timi griff nach dem Rest, Max aber hielt ihn ein paar Zentimeter höher. Und noch höher und …
» Hör auf damit.« Alex stieß Max den Ellenbogen in die Seite, Max ließ den Arm sinken und Timi bekam den Rest seines Apfels zu fassen. Er drückte ihn wie einen Schatz an sich und rutschte mehr als eine Armlänge von seinem Bruder weg. Tränen liefen ihm über die Wangen, sein Magen knurrte und immer wieder musste er an einen gedeckten Frühstückstisch denken, an duftende, heiße Brötchen, Eier, Wurst, Marmelade, Honig. Er hatte solchen Hunger!
» Timi?«
Ach, lasst mich doch in Ruhe.
» Timi, hier.«
Timi sah auf, aber nicht Max oder Alex hatten ihn gerufen. Kasi streckte ihm ein Brot hin. Timi sah aus den Augenwinkeln, dass Max nach vorn zuckte, aber diesmal wollte Timi schneller sein. Er sprang auf und rannte zu Kasi.
Kasi sah komisch aus ohne seine Brille, aber er lächelte und hielt Timi das halbe Wurstbrot hin.
» Hast du denn keinen Hunger?« Timi zögerte. Sollte das jetzt nur ein Trick sein, um durch ihn Max zu ärgern? Aber Timi fiel keine einzige Begebenheit ein, in der Kasi irgendwas Gemeines getan hätte. Außerdem lächelte Kasimir, wie er immer lächelte, wenn ihm die Großen ausnahmsweise das Mitspielen gestattet hatten. Wie vorgestern. Timi streckte die Hand aus, erwartete, dass diese jeden Augenblick wieder weggezogen würde, aber Kasi war nicht Max. Das Brot wechselte seinen Besitzer. Timi biss hinein und blieb dabei vor Kasi stehen.
» Kannst dich ruhig hinsetzen«, sagte der und schlug mit der Hand auf den Boden, aber nur einmal. Er hatte auf die Stelle geklopft, auf der er die Nacht verbracht hatte und da wollte Timi sich nun ganz und gar nicht hinsetzen. Aber auf die andere Seite, das wäre in Ordnung. Und Kasi wäre dann auch nicht mehr so allein.
» Wag es ja nicht!« Max’ Stimme riss den kleinen Bruder zurück. »Gib dem seinen Fraß zurück und mach, dass du hierherkommst!«
Timis Kiefer erstarrten in der eben begonnenen Kaubewegung. Speichel sammelte sich in seinem Mund, er schluckte und das Brot schmeckte so wunderbar, ganz anders als Mutters Brote. Er sah auf das Brot und zu Kasi.
» Hast du mich verstanden?!«
Timi hatte. Timi hatte Max verstanden. Max hatte ihm den Apfel weggenommen
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