Apfeldiebe
Köpfe hinweg. Der Hund suchte instinktiv Schutz bei seinem Herrchen, das, die Augen mit der flachen Hand gegen die Sonne geschützt, dem Störenfried nachsah.
» Überall Polizei.« Seiler schüttelte den Kopf. »Verstehst du das?« Aber der Gefragte hatte den Hubschrauber bereits vergessen und schnüffelte an einem Mauseloch.
Ohne weitere Zwischenfälle erreichten Hund und Herrchen einen Feldweg. Nach wenigen Metern verwandelte sich dessen Staub und Gras unter Seilers Füßen in Asphalt und mündete kurz darauf in die Dorfstraße. Ohne auf das zu achten, was sich rechts und links dieser Straße in den Vorgärten und Höfen abspielte, hielt der Alte auf sein Haus zu, Hasso jetzt wieder an der Leine. Wie er mochte auch der Hund keine Kinder und seit Hasso vor ein paar Jahren einmal eines von ihnen durch das halbe Dorf und auf einen Baum gehetzt hatte, behielt er das Tier hier im Ort lieber unter Kontrolle. Sicher, Hasso könnte nie und nimmer jemanden etwas zuleide tun, aber es machte ihm nun einmal Spaß, allem hinterherzurennen, was vor ihm davonlief – Katze oder Kind, egal. Damals hatten sie ihm Hasso wegnehmen wollen. Wegnehmen, das Einzige, was er noch besaß, von Katze einmal abgesehen, aber Katzen konnten keine richtigen Freunde sein, die hatten ihre eigenen Sachen im Kopf, Hunde hingegen nur ihr Herrchen.
Wie immer musste Seiler auch an diesem Tag am Haus der Witwe Probst vorbei. Und wie immer hatte diese den Einsiedler bereits weit draußen auf dem Feldweg entdeckt, hatte ihre Wäsche Wäsche sein lassen und stand nun, als Seiler die Straße entlangkam, am Gartenzaun.
» Na, wieder fleißig gewesen, ihr zwei?« Seiler brummte etwas, das von einem Gruß bis hin zu einem Fluch alles sein konnte. Er mochte die Probst ebenso wenig wie alle anderen hier im Ort. Keiner hatte ihm jemals seine Hilfe angeboten, weder bei Mutters Tod noch nach der Sache mit Mona-Lisa. Im Gegenteil, Marianne Probst – damals hieß sie noch Brunner – hatte versucht, die Lage für sich auszunutzen und Gernot Seiler, für eine Frau viel zu aufdringlich, Avancen gemacht. Avancen, die Seiler natürlich abgelehnt hatte. Nach Mona-Lisa konnte es keine Frau mehr geben und es hatte keine gegeben, was Seiler auch nicht mehr zu ändern gedachte. Mona-Lisa war die einzige Frau in seinem Leben und dabei würde es bleiben, egal, wie oft Marianne Probst noch hier auf ihn wartete und ihre riesigen Brüste über den Gartenzaun hängen ließ.
» Hast du das mit den Kindern gehört?« Seiler schüttelte den Kopf und ging weiter. Was interessierten ihn Kinder. »Was, du hast noch nichts gehört?« Seiler schüttelte noch einmal mit dem Kopf, beinahe fühlte er sich schuldig, so vorwurfsvoll klang Marianne, als hätte er das Ende der Welt verpasst. »Die Kinder sind weg!«
Seiler blieb stehen. Etwas in ihm hüpfte in die Höhe. Halleluja! Äußerlich aber blieb das Heraufziehen einer Augenbraue die einzige Reaktion auf diese Neuigkeit. »Welche Kinder?«
» Na, der Enkel vom Richard, der Alex. Und dann dieser Neue, kennst du auch. Wohnen erst ein halbes Jahr hier. Der Junge läuft immer ganz in Schwarz durch die Gegend.« Seiler nickte.
» Die beiden?«
» Ja. Und noch der Max und dem sein Bruder, der Tom. Oder Tim, eins von beiden. Und dann noch der Kleine mit den langen Haaren, dieser Kasimir. Kennst ihn bestimmt aus der Kirche. Ach nein, da gehst du ja nicht mehr hin. Warst du überhaupt schon einmal in der Kirche?«
» Und was heißt weg ?«
» Na, weg eben, verschwunden. Sind vorgestern einfach nicht mehr vom Spielen zurückgekehrt. Keiner weiß was, nirgends eine Spur. Keiner hat irgendwas gesehen. Die Polizei sucht überall, sogar mit einem Hubschrauber. Den wirst du doch wenigstens bemerkt haben, oder? Wie geht’s dir eigentlich? Willst du nicht auf einen Kaffee rein …«
Gernot Seiler ließ die Frau einfach stehen. Er drehte sich um, ging weiter zu seinem Haus, Marianne Probst sah ihm mit offenem Mund hinterher. So viel Unfreundlichkeit! So ein undankbarer alter Einsiedler. Kein Wunder, dass niemand etwas mit ihm zu schaffen haben wollte. Aber Seiler hatte während des Gesprächs mit einem Mal fünf Kinder gesehen, Kinder, die im Gänsemarsch die Straße zur Steina hinunterliefen. Vorgestern Morgen, während er Pilze gesucht und Hasso angeschlagen hatte. Fünf: dieser Alex und sein Freund mit Bruder Tom, dann der Neue und der mit den langen Haaren. Und die sollten verschwunden sein?
Seiler verriegelte die windschiefe
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