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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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oder jemandem von der Polizei einen Tipp zu geben, damit es schneller geht.« Max musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut loszulachen. »Vielleicht gefällt es dir ja da, wo du jetzt bist, besser als hier. Wir wünschen es dir.«
    Kasi faltete die Hände, Alex folgte dem Beispiel. Max hielt seine Hände hinter dem Rücken (gefaltet?), aber Timi machte es wie die anderen beiden, faltete die Hände vor der Brust und senkte den Kopf.
    » Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name …«, Kasi begann und einer nach dem anderen fiel in dieses in ihre Kinderköpfe gehämmerte Gebet ein, sogar Max bewegte die Lippen. Timi kannte jedes einzelne Wort, wusste, wo man eine kleine Pause machen musste. Er hatte dies schon zigmal gebetet, besser: er hatte es aufgesagt wie ein Gedicht, auswendig gelernt und an den wenigen Sonntagen im Jahr, an denen er den Gottesdienst besuchte, wie die anderen heruntergeleiert. Jetzt aber empfand er etwas, etwas, das über Kälte und Wärme hinausging. Tot. Da, unter diesen Steinen, lag ein Kind, nur vier Jahre älter als er selbst, jünger als Max und Alex. Tot. Timi weinte.
    » Amen.«
    Timi wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und betrachtete den Steinhügel. Alex und Max unterhielten sich, Kasi setzte sich auf den Boden, Timis Augen aber starrten auf das Grab und plötzlich sah er daneben ein zweites, dann ein drittes und ein viertes. Rufus’ Tod vor Augen, klangen Max’ Worte von Satelliten und Ortung mit einem Mal gar nicht mehr so überzeugend. Was, wenn Max sich irrte? Wer würde dann als Nächstes hier neben Rufus liegen und wer würde der Letzte sein, der, der keinen Grabhügel mehr bekam, sondern ungeschützt zwischen den anderen liegen musste? Für immer.
    » Komm jetzt!«, Max packte seinen Bruder am Handgelenk, zerrte die noch immer gefalteten Hände auseinander und zog ihn Richtung Ausgang.
    » Ihr wollt uns wirklich nicht helfen?«, fragte Alex. Seine Hoffnung, dass Max sich eines Besseren besinnen könnte, schwand. Kasi hingegen freute sich. Max’ Anwesenheit hier in diesem Raum empfand er als störend. Er vermied jeden Blickkontakt und versteckte sich so gut es ging hinter Alex und als Max und Timi nun gingen, verließ das Böse diesen Raum. Die Decke hob sich und auch die Taschenlampe strahlte einen Tick heller. Und der Schutthaufen, den es noch abzutragen galt, schrumpfte in sich zusammen.
    » Macht ihr nur euer Ding, wenn ihr Spaß dran habt«, sagte Max am Ausgang, »wir legen uns jetzt hin. Macht also bitte nicht mehr so viel Lärm.« Er leuchtete Alex und Kasimir ins Gesicht, drehte sich um und hielt nach diesem Augenblick des Blendens plötzlich Kasis noch zu einem guten Viertel gefüllte Trinkflasche in der Hand. Timi wollte schon den Mund aufmachen, aber Max schob ihn einfach vor sich her. »Halt bloß die Klappe!«, zischte er. Timi hielt die Klappe.

    Wieder allein, gingen Alex und Kasi umgehend die noch vor ihnen liegende Arbeit an. Müde zwar, aber sie wollten weitermachen. Jeder zur Seite getragene Stein brachte sie der Welt da draußen ein winziges Stück näher. Jedes Bücken, Anheben und Wegtragen vertrieb die Zeit. Und die Arbeit drückte Kasis Angst vor Max ein wenig nach hinten, schob sie in eine Windung seines Hirns, in der sie zwar weiterhin auf der Lauer lag, bereit, jeden Augenblick hervorzuspringen und das Kind zu verschlingen, sich in dieser Windung vorerst aber still verhielt. Kasi wusste nicht, welche Angst stärker sein mochte, die vor Max oder die, hier für immer eingesperrt zu bleiben, aber gegen diese zweite Angst konnte er wenigstens etwas unternehmen, auch wenn sein Rücken dabei schmerzte und sein verletzter Oberarm glühte. Arbeiten und betäuben. Arbeiten und leben. Und nicht an Ängste denken.
    » Gibt es eigentlich irgendwas, vor dem du dich fürchtest?« Kasi kam gerade mit dem leeren Brett zurück. Er blieb vor der Halde stehen und ließ das vordere Ende seines Transportmittels auf den Boden knallen. Und es knallte wirklich! Kasi freute sich jedes Mal aufs Neue darüber und die Vorstellung, dass Max da hinten bei jedem Knall aus dem Schlaf schrak und Flüche gegen das Mädchen ausstieß, gab ihm zusätzliche Kraft.
    Alex zuckte ebenfalls zusammen, im Gegensatz zu Kasi konnte er aber absolut keine Freude daran empfinden, das Geräusch erinnerte ihn zu sehr an zerberstende Mauern und Wände und – an eine herabstürzende Decke. Obwohl er auch jetzt ganz genau um den Ursprung des Geräusches wusste, galt sein erster

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