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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Eigenheiten, manchmal sogar Macken, aber selbst auf diese Macken konnte man sich bei Tieren und Pflanzen verlassen. Schmetterlinge zum Beispiel: wunderschön anzuschauen, aber kurzsichtig, flatterten sie einem im Sturzflug beinahe ins Auge, hielten aber kurz vorher an und versöhnten mit einem Flügelschlag, welcher sogar Hasso verwirren konnte. Und Bäume ließen im Frühjahr manchmal winzigste Tropfen auf einen niederregnen, klebrige Tropfen, die ärgerten, die störten, welche die Kraft dieses Baumes aber in keinster Weise beeinträchtigten. Und dieser Baum gab jedem, der wollte, von seiner Kraft, wusste Seiler. Man musste nur die Hände an seinen Stamm legen (klebrig oder nicht) und schon konnte man spüren, wie diese Kraft in einen hineinfloss. Menschen versprühten auch klebrige Tropfen, Kraft hingegen gaben sie selten, verlässlich waren sie kaum. Freunde nie.
    » Du bist mein Freund.« Hasso sah kurz auf und schlug zweimal mit dem Schwanz auf das Moos. Danach legte er den Kopf zurück zwischen seine Pfoten und blinzelte in die zwischen den Bäumen herabfallenden Sonnenstrahlen. Dem Winkel dieser Sonnenstrahlen nach musste es so gegen fünf sein, schätzte Seiler, also höchste Zeit, zusammenzupacken und den Heimweg anzutreten.
    Seiler und sein Hund hatten den ganzen Tag hier im Wald zugebracht. Wenn er gekonnt hätte, wäre der alte Mann lieber heute als morgen weg aus dem Dorf und in den Wald gezogen. Was brauchte man mehr als eine kleine Hütte? Den Rest schenkte die Natur. Für den, der sehen konnte, hielt der Wald alles bereit, was man so zum Leben brauchte: Pilze und Beeren im Überfluss, dazu Holz und Moos, welches eine bessere Schlafunterlage abgab als jede Matratze. Man sollte noch einmal um die zwanzig sein, wünschte sich Seiler an solchen Tagen wie heute, dann könnte er seinen Traum Wirklichkeit werden lassen und einfach davongehen. Aber Anwandlungen dieser Art gehörten ausschließlich zu Tagen dieser Art. Wenn er im Herbst auf nassen Baumstämmen aus- und einige Meter den gerade erst bezwungenen Hang wieder hinabrutschte, existierte weit und breit kein Wunsch nach einer Hütte im Wald. Und im Winter blieb er eh lieber in der Nähe des Ofens und träumte vor sich hin.
    Heute hatten sie ordentlich was geschafft. Neben dem alten Mann lagen drei Bündel, bestehend aus trockenen Ästen und Zweigen, manche dünn wie ein Streichholz, die dicksten daumenstark. Ast für Ast hatte Gernot Seiler sie im Verlaufe des Tages zusammengelesen, Holz, welches niemand beachtete oder brauchen konnte. Er schon. Warum Holz kaufen, wenn es hier nur darauf wartete, eingesammelt zu werden? Der nächste Winter kam und mit diesem Kälte, Feuchtigkeit und ein Wind, der jede Ritze im Haus entdeckte, durch die gesprungene Fensterscheibe in der Küche zog und die geschlossenen Vorhänge davor bewegte, als habe er in Seilers Haus das Kommando übernommen. Dann stand es einem alten Mann wie Seiler gut zu Gesicht, einen Schuppen voller Äste und Zweige zu besitzen, dreimal am Tag hinüberzugehen und einen Armvoll davon zu holen und dabei zu wissen, dass einem nichts passieren konnte. Vorausgesetzt allerdings, man verbrachte den kurzen Sommer zwischen zwei Wintern nicht faul im Urlaub oder im Liegestuhl hinter dem Haus, sondern sammelte Vorräte, wie dies jedes vernünftige Wesen hier im Wald tat. Eichhörnchen vergruben Eicheln und Nüsse und Hamster stopften sich draußen auf dem Feld die Backen voll. Ameisen legten Vorräte an und Igel, ja selbst Rehe und Hasen lebten nicht von der Hand in den Mund, sondern nutzten den Überfluss der warmen Jahreszeit und fraßen sich einen Vorrat in Form einer ordentlichen Schwarte an.
    Die letzten der vor ein paar Minuten noch an einem Strauch gehangenen Himbeeren verschwanden in Seilers Mund. Er drehte sich auf die Knie, zog sich an einem Baumstamm nach oben und streckte sich, dabei beide Fäuste ins Kreuz gedrückt. Während Hasso bereits Richtung Waldrand und Futternapf trottete, lud sich Seiler zwei der mit Stricken zusammengehaltenen Bündel auf den Rücken, das dritte klemmte er sich unter den Arm.
    Den ganzen Tag über hatten genau über Wittlekofen kreisende und irgendwann nach Süden abdrehende Flugzeuge die Ruhe im Wald gestört. Aber das war nichts Neues. Neu war, dass Hasso ein paar Mal die Ohren nach einem Hubschrauber spitzte. Einmal hatten sie ihn sehen können, ganz kurz nur und als das Paar jetzt den Wald verließ, schoss ein lärmendes Ungetüm keine hundert Meter über ihre

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