Apfeldiebe
mehr. Wie oft hatten er und Alex am Vortag und gerade eben noch den Fuß darauf gesetzt, wie oft waren sie über eben diese Stelle da gegangen? Wie oft hatten sie auf diesem zu der Zeit noch verschlossenen Loch gestanden?
Alex legte sich auf den Rücken. Er streckte ein Bein nach vorn und stampfte auf den Boden. Nichts passierte. Etwas mutiger schob er sich weiter und wiederholte diese Zeremonie, die Arme gespreizt und auf den Boden gedrückt, den Oberkörper weit nach hinten gelehnt. Es öffnete sich kein zweiter Schlund, weder ihn noch Kasi zog es in die Tiefe. Alex kroch zurück, wagte sich auf die Beine und hinter ihm trat Max zwei Schritte zurück. Die Lampe hatte der sich für die letzten Meter hierher zuerst unter das Hemd gesteckt, zuletzt ganz abgeschaltet. Alex tastete sich an der Wand entlang zum Tisch, auf dem seine eigene Lampe lag. Die strahlte weiter gegen den oberen Teil der Schutthalde und den darüber folgenden Trichter. Alex erreichte Tisch und Lampe, leuchtete zuerst zu Kasi, »Alles okay?«, und nach dessen Nicken zu diesem Loch.
Was sich dort kreisrund im Boden auftat, sah stabil aus, beinahe wie ein Fenster, nur dass dieses Fenster nicht in der Wand hing und dahinter auch keine Blumen blühten oder Vögel zwitscherten. Ein Fenster ins Nichts. Der Taschenlampenstrahl wanderte die gemauerte Einfassung dieses Loches entlang; grob behauene Steinquader fügten sich zu einem Rund und außerhalb dieses Rundes zeigte der Boden keinerlei Veränderung, keine Risse, keine Vertiefungen oder sonst irgendwas, das auf eine Instabilität des gesamten Untergrundes hindeute.
» Sieht fest aus«, sagte Alex nach einigem Zögern und Überlegen und ging einen Schritt nach vorn. »Wie ein Brunnen.« Kasi entspannte sich ein wenig, blieb aber vorsichtshalber auf seinem vermeintlich sicheren Platz und beobachtete Alex. Der wagte sich Schritt für Schritt weiter nach vorn und am Ende lag er auf dem Bauch am Rande dieses Loches und leuchtete hinein.
» Und? Was siehst du?«
Kasi wusste, dass es keine Ungeheuer gab. Er wusste, dass keine Drachen existierten und auch Zombies, Vampire und all die anderen Gespenstergeschichten menschlichem Geist entsprungen waren – trotzdem wartete er darauf, dass jeden Augenblick ein glühender Rachen aus diesem Loch hervorschießen musste, mit schneeweißen Zähnen, Zähnen, die Alex am Kopf packten und ihn in die Tiefe rissen. Aber nichts dergleichen geschah, die Welt hielt sich auch hier unten an ihre festgeschriebenen Gesetze und diese Gesetze schlossen Geister und Ungeheuer aus.
» Steine«, antwortete Alex nach einigen Sekunden, »nichts als Steine. Und – Wasser!« Das Licht, das eben noch über brüchige, grobe Steinwände gewandert war, traf am Grund der Röhre auf eine glatte Oberfläche und kam zurück. Alex wusste, wenn sich nicht ein verrückter Ritter einen Scherz erlaubt und am Grund dieses Brunnens einen Spiegel hatte liegen lassen, konnte dies dort nur Wasser sein! Er sprang auf, nahm einen Stein von der Größe einer Kinderfaust, stellte sich an den Rand der Öffnung, streckte den Arm aus und öffnete die Finger. Der Stein verschwand im Loch, ein paar Mal schlug er gegen den Rand, polterte hin und her und beendete seinen Sturzflug mit einem Geräusch, welches Kasi endlich von der Wand löste und Max das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Ein Brunnen! Und es gab noch Wasser da unten!
» Heilige Hühnerscheiße, wir haben Wasser, verdammt noch mal! Wasser!« Alex hüpfte durch den Raum, landete bei Kasi und ehe der sich dessen bewusst werden konnte, lagen sich die beiden Kinder bereits in den Armen und Alex wirbelte Kasi im Kreis herum. »Verdammt, Kasi, wir haben Wasser!«
» Du sollst nicht fluchen.«
» Ach, scheiß drauf, Kasi. Freust du dich denn gar nicht? He, wenn wir Wasser haben, können wir locker eine Woche länger hier unten überleben! Wir können länger weiterarbeiten. Wir schaffen es, wir kommen hier raus!« Alex gab Kasi einen Kuss auf die Stirn und schließlich frei. »Komm, das müssen wir feiern!«
» Feiern?«
» Logisch! Wo ist deine Flasche? Jetzt können wir trinken, so viel wir nur wollen!«
Kasi hatte etwas wie Und wie bekommen wir das Wasser nach oben? auf den Lippen, öffnete bereits den Mund, sah aber im gleichen Moment, dass seine Trinkflasche nicht mehr auf dem Tisch stand.
» Auf dem Tisch. Ich hatte sie auf den Tisch gestellt!«
Max hatte genug gehört.
Alex leuchtete auf den Tisch, darunter, aber nichts, von Kasis
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