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Apocalypsis 1 (DEU)

Apocalypsis 1 (DEU)

Titel: Apocalypsis 1 (DEU) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Giordano
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ZUVOR …
    10. September 2010, Gulu, Nord-Uganda
    S eit Tagen schon streifte die Hyäne im Lager herum. Zwar hielt sie sich in respektvoller Entfernung zu den Hütten und improvisierten Zelten aus alten Plastikplanen, aber sie ließ sich weder von den Steinen der Kinder vertreiben, noch von einzelnen Warnschüssen der Blauhelme. Aus irgendeinem Grund hatte sie ihr Rudel verlassen oder war verstoßen worden. Sie wirkte nicht verletzt. Weder humpelte sie, noch trug sie irgendwelchen Wunden eines Kampfes mit einem Löwen. Aber sie war allein, ausgemergelt und gefährlich. Bislang hatte sie noch niemanden angefallen. Es schien fast, als sei sie nur hergekommen, um zu verhungern – so wie alle hier. Die Acholi im Lager schienen sie nicht besonders zu fürchten und nannten sie respektvoll Maama Empisi , Mama Hyäne. Immerhin war es seit dem Auftauchen der Hyäne nicht mehr zu Übergriffen der LRA gekommen. Einige der älteren Acholi betrachteten sie daher schon als einen Schutzgeist des Lagers. Nachts hörte man ihr heiseres Bellen, tagsüber sah man sie am Rand des Lagers durch Staub und Trostlosigkeit trotten. Niemals überquerte Maama Empisi die breite Straße, die das Lager in zwei Hälften spaltete und zur einen Seite nach Gulu, zur anderen in den sicheren Tod führte. Ein rätselhaftes Tier, diese Hyäne, immer auf der Suche nach irgendetwas. Oder irgendwem.
    Von der Stelle aus, an der Maria gerade saß, konnte sie sehen, wie Maama Empisi sich in den Schatten einer verkrüppelten Schirmakazien legte. Für einen Moment dachte sie, die Hyäne starre sie an. Als hätte sie eine Botschaft für Maria, die sie ihr bei nächster Gelegenheit persönlich überbringen musste.
    Maria wandte sich wieder der zwölfjährigen Joan zu.
    »Du musst keine Angst haben. Es wird alles gut.«
    »Und wenn sie mich nicht mehr wollen? Ich würde mich selbst ja auch nicht mehr wollen.«
    »Gott ist mit dir, Joan. Gott wird dir deine Familie zurückgeben.«
    Dabei war Maria nicht sicher, ob Joans Familie sie wieder aufnehmen würde. Denn Joan hatte getötet. Sie hatte viele Menschen getötet, zum Teil auf bestialische Weise abgeschlachtet. Vor vier Jahren hatte ein Trupp der Lord’s Resistance Army Joans Dorf überfallen. Sie hatten Joans Eltern aus der Hütte gezogen, hatten das 8jährigen Mädchen gezwungen, ihre Eltern zu töten. Wen interessierte noch die Verzweiflung, die Qualen, die Joan erlitten hatte. Wen interessierte noch, dass Joan anschließend vier Jahre lang von LRA-Offizieren vergewaltigt worden war. Wen interessierte, dass sie vier Jahre lang Todesängste ausgestanden hatte. Denn fest stand: Sie hatte ihre Eltern getötet. Fest stand: Sie hatte vier Jahre in der LRA gedient. Dass sie unter dem aufputschenden Einfluss des Gun-Juice regelmäßig Dörfer und die Flüchtlingscamps überfallen und in regelrechter Raserei Dutzende von Menschen getötet hatte. Manchmal nur für ein Paar Gummistiefel oder ein T-Shirt. Fest stand aber auch, dass Joan ihren Glauben nie verloren hatte. Jeden Abend hatte sie zu Gott gebetet, ihn um Vergebung angefleht. Bis er sich gnädig gezeigt und ihr die lebensgefährliche Flucht ermöglicht hatte. Gott, so war sich Joan sicher, hatte ihr den Weg in das Auffanglager für traumatisierte ehemalige Kindersoldaten gezeigt. Gott hatte sie zu Maria geführt, die sie nun zurück zu ihrer Familie brachte. Oder zu dem, was von Joans Familie noch übrig war.
    Seit über zwanzig Jahren überzog Joseph Kony den Norden Ugandas und die Grenzregionen mit unvorstellbarem Terror, ausgeübt von Kindersoldaten auf Gun-Juice . Um die Acholi vor dieser brutalsten aller afrikanischen Rebellenmilizen zu schützen, hatte die ugandische Regierung zwei Millionen Menschen aus ihren Dörfern in riesige Flüchtlingscamps umgesiedelt. Tatsächlich waren die Acholi dem LRA-Terror in diesen Camps nur umso mehr ausgesetzt. Ohne Wasser, Nahrung und Medikamente, fern ihrer angestammten Ackerflächen, nur notdürftig von internationalen Hilfslieferungen versorgt, gingen sie in den Camps elend zugrunde. Wenn die LRA sie nicht vorher abschlachtete.
    Für Maria hatte der Satan ein Gesicht – das von Joseph Kony. Umso mehr dankte sie Gott, dass Joan dieser Hölle entkommen und bereit war, ihrer Familie gegenüberzutreten. Doch Gottes Hilfe allein würde diesmal nicht reichen. Es brauchte ein Versöhnungsritual. Ein Mato Oput .
    Maria nahm die zitternde Joan an die Hand und führte sie zu einer niedrigen Lehmhütte, die beim nächsten

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