Apocalypsis 1 (DEU)
Regen wieder fortgespült werden würde. Vor der Hütte warteten Joans Großeltern, ein Onkel mit seinen Söhnen und eine alte Acholischamanin namens Nafuna, die das Ritual vorbereitete. Joans Familie hatte sich zunächst geweigert, sie wieder aufzunehmen. Sie fürchteten sich vor Joan. Bis Maria, die katholische Nonne, ein Mato Oput vorgeschlagen hatte. Maria arbeitete nun schon seit vier Jahren als Missionsschwester im Busch, aber immer noch staunte sie über die afrikanische Tradition der Vergebung und Versöhnung. Schwerste Verbrechen konnten mit einfachen Ritualen vergeben und verbindlich ausgesöhnt werden. Eines davon war das Mato Oput .
»Ich bringe euch Joan«, erklärte Maria. »Joan hat viele Menschen getötet. Aber sie hat ihren Glauben an Gott nie verloren, und sie wünscht sich nichts so sehr, als wieder zu ihrer Familie zurückzukehren. Sie wünscht Vergebung.«
Auf ein Zeichen der Schamanin hin legte Joan ein Hühnerei vor sich ab und zertrat es. Danach überschritt sie einen Zweig, der zwischen ihr und der Hütte lag und musste einen bitteren Kräutersud trinken, den die Schamanin gebraut und in einer großen Schale vor die Hütte gestellt hatte. Nachdem Joan die Schale mit dem widerlichen Sud bis zur Neige geleert hatte, klatschten ihre Familienmitglieder kurz in die Hände und Joan umarmte Maria unter Tränen. Dann nahm ihre Großmutter sie an die Hand und führte sie in die Hütte. Damit war das Ritual beendet. Joan war wieder von ihrer Familie aufgenommen worden. Sie hatten ihr vergeben, ihre Eltern und viele andere Mitglieder ihres Stammes getötet zu haben.
Nafuna erhob sich und kam auf Maria zu. Maria verbeugte sich und begrüßte die alte Frau respektvoll auf Luganda. » Oli otya, Nafuna? «
» Bulungi «, erwiderte die alte Frau. Sie berührte Maria an der Wange und deutete in die Ferne. »Sieh!«
Als Maria sich umwandte, sah sie Maama Empisi in einiger Entfernung. Die Hyäne stand einfach da und starrte Maria an.
»Sie wartet auf dich.«
»Wieso auf mich?«
»Sie hat gehört, dass du aus bösen Geistern gute Geister machen kannst. Sie hat gehört, dass du große Macht hast, Maria.«
»Nafuna, ich bin nur eine Nonne!«
»Nein, Maria, du bist viel mehr. In dir ist ein großer Zauber. Maama Empisi will von dir erlöst werden.«
Maria hatte genug Zeit in Afrika verbracht, um zu wissen, dass es keinen Sinn hatte, mit einer Schamanin über christliche Erlösungsvorstellungen zu argumentieren. Sie verstand, dass Nafuna ihr etwas sagen wollte.
»Sag mir, wie ich Maama Empisi helfen kann, Nafuna.«
Die Schamanin spuckte auf den Boden.
»Komm mit.«
Nafuna brachte Maria durch das Lager auf ein freies Stück ödes Buschland. Fahrspuren durchkreuzten den lehmigen Boden wie wirre Kritzeleien eines wahnsinnigen Gottes. Die Sonne stand hoch am Himmel, in der Ferne ballten sich dunkle Wolken, die das Ende der Trockenzeit ankündigten.
Die einsame, dürre Hyäne trottete den beiden Frauen in sicherem Abstand hinterher bis zu einem flachen Felsen, der aus dem Boden herausragte wie ein großes steinernes Auge. Nafuna führte Maria an der Hand zu diesem Felsen und wischte den Staub von einer Stelle. Darunter erkannte Maria eingeritzte Zeichen. Zeichen, die sie aus einem Buch kannte.
»Es ist ein heiliger Stein«, erklärte Nafuna. »Aus diesem Stein ist alles entstanden, die ganze Welt, der Busch, die Bäume, das Gras, die Tiere, die Menschen. Und mit der Welt gebar der Stein einen Zauber, einen mächtigen Zauber, der Leben schenkt und den Tod bringt. Danach war der Stein sehr erschöpft, und deswegen schläft er nun.«
»Wer hat diese Zeichen dort eingeritzt?«
»Die Geister unserer Ahnen«, erklärte Nafuna. »Um uns zu warnen.«
»Warnen wovor?«
»Vor dem, was unter diesem Stein schläft.«
»Was hat sie damit gemeint?«, fragte Don Luigi später am Abend.
»Sie nannte es das Gift der Erde«, berichtete Maria weiter. »Böse Geister. Es ist seltsam, ich kenne Nafuna schon eine Weile, aber bislang hat sie sich immer sehr distanziert zu mir und den anderen Missionsschwestern verhalten. Erst seitdem die Hyäne durch das Camp streift, hat sich etwas verändert. Sie hat meine Nähe geradezu gesucht.«
Don Luigi nippte schweigend an einem Eistee. Er schwitzte, und in seiner khakifarbenen Wanderhose, dem gleichfarbigen Hemd und den Wanderstiefeln sah er etwa so seriös aus wie ein Abenteurer aus einem B-Movie. Maria trug wieder ihr hellgraues Habit mit der Haube, die sie trotz der Hitze
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