Apocalypsis 1 (DEU)
gigantischen unterirdischen Friedhof aus frühchristlicher Zeit, immer noch nicht vollständig erforscht. In den dunklen und kalten Gewölben hatten sich die ersten Christen im Geheimen getroffen, als sie noch eine kleine, von Kaiser Nero verfolgte Sekte waren. Tausende von Gräbern waren hier in den Stein gehauen worden, und irgendwo dort unten in der Tiefe dieses weit verzweigten Labyrinths vermutete man auch das wahre Grab des Heiligen Petrus.
Offizielle Führungen durch die Nekropole gab es selten. Peter selbst war nur einmal mit Don Luigi dort gewesen, ansonsten blieb der Zutritt ausschließlich akkreditierten Archäologen vorbehalten. Daher wunderte sich Peter im Vorbeigehen kurz, als er Arbeiter einer Tiefbaufirma bemerkte, die vor dem Eingang Bohrgerät und Werkzeug von einem Pritschenwagen abluden und in das Eingangsgebäude schafften. Auf dem Pritschenwagen stand der Name der Firma. »Frater Ingegneria civile« neben einem wie per Hand gemalten doppelten Kreissymbol. Ein großer Kreis mit einem kleinen Kreis im Zentrum.
Der Tag war warm, die Luft klar und mild wie selten in Rom. In den vatikanischen Gärten herrschte der Frühling, Bäume und Sträucher standen in voller Blüte. Der Lärm der Stadt ebbte ab zu einem fernen Rauschen. Kaum ein Ort erschien Peter von der Welt entrückter als dieser Garten, einst mitten ins Herz der abendländischen Welt gepflanzt und bis heute Teil eines weltumgreifenden Machtzentrums. Peter sah einige Katzen, die allein oder in kleinen Trupps durch die Gärten streiften. Innerhalb der vatikanischen Mauer lebten etwa achtzig Katzen, sämtlich mit einem Chip markiert und sämtlich Nachkommen von »Rambo«, einem äußerst fruchtbaren Kater, der 2006 einem Schweizergardisten zugelaufen war. Selbst der Papst hatte sich einen von Rambos Nachkommen gehalten, einen roten Kater namens Vito, dem die kurialen Beamten spöttisch den Titel Cattus apostolicus verliehen hatten. Peter fragte sich kurz, was wohl aus diesem Kater geworden war.
Vor dem Gärtnerhäuschen erwartete ihn eine junge Nonne in grauem Habit. Peter kannte die Schwestern vom Sehen, die Don Luigi bei seinen Exorzismen assistierten. Diese jedoch hatte er noch nie gesehen. Ihr Alter war schwer zu schätzen unter dem Habit, Peter vermutete, dass sie nicht älter als Anfang dreißig sein konnte. Als er ihre Hand ergriff, die weich war und fest zugleich, sah er, dass sie grüne Augen hatte und eine dunkle Haarsträhne unter der Haube. Ein etwas zu breites Gesicht, das ihre Schönheit ebenso wenig minderte wie die etwas zu breite Nase und der spöttische Zug um die Mundwinkel.
»Herr Adam«, begrüßte sie ihn in tadellosem Deutsch und blickte ihn dabei unverwandt an. »Ich bin Schwester Maria. Pater Luigi ist noch beschäftigt, aber Sie mögen schon reinkommen und ein wenig Geduld haben. Und Sie können jetzt meine Hand loslassen.«
»Entschuldigung«, murmelte Peter, zog hastig seine Hand zurück und hoffte, dass ihr entgangen war, wie er auf ihre Brüste gestarrt hatte, die sich weniger undeutlich unter ihrer grauen Tracht abzeichneten als bei anderen Ordenschwestern.
Verdammt, und lass dieses Grinsen!
Schwester Maria schien ihm den Fauxpas nicht übel zu nehmen. Sie lächelte Peter ungezwungen an und führte ihn in die einfache Küche des kleinen Häuschens. Ein grober Holztisch, vier einfache Holzstühle, Elektrogeräte aus dem vorigen Jahrhundert und ein gefliester Boden mit hundertfach gesprungenen Kacheln. Peter wunderte sich jedes Mal, wie schlicht und fast ärmlich einer der geheimnisvollsten Vertreter der katholischen Kirche lebte.
An dem Holztisch saß bereits eine Mutter mit ihrem jugendlichen Sohn, beide ärmlich gekleidet. Sie sprachen neapolitanischen Dialekt, als Peter sie begrüßte. Beide machten keinerlei peinlich berührten Eindruck, dass Sie hier auf den Exorzisten warteten. Es schien sich um nicht mehr als einen Zahnarztbesuch zu handeln. Peter fragte sich, wer von beiden der »Fall« war. Er tippte auf den blassen Jugendlichen mit der Kapuzenjacke.
Aus dem Nebenraum drang an- und abschwellendes Murmeln und dazwischen das Grunzen und Keuchen einer Frau. Peter hatte Don Luigi ein paar Mal bei seiner Arbeit beobachten dürfen und kannte das Verfahren. Die Gebete, die Erfragung des Namens, das Ausfahrverbot und das Rückkehrverbot. Don Luigi war kein Spinner. Die meisten angeblich Besessen schickte er umgehend zu Ärzten und Psychiatern. Oft waren es dann die Psychiater, die ihm ihre härtesten
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