Apocalypsis 3 (DEU): Collector's Pack. Thriller (German Edition)
alle Ewigkeit. Amen.
Der Hymnus des Prudentius begleitete ihn nun schon sein ganzes Leben. Franz Laurenz liebte die Klarheit und die Poesie der fast zweitausend Jahre alten Verse dieses frühchristlichen Dichters, den bis ins Mittelalter jedes Schulkind kannte. Im lateinischen Original entwickelten die Verse, fand Laurenz, sogar einen glockengleichen Klang, der den Körper beim Beten bis in jede Faser mit Hoffnung und Kraft anfüllte. In seinen dunkelsten Stunden, aber auch in Momenten der kritischen Selbstbetrachtung, der Verzagtheit, und vor wichtigen Entscheidungen suchte Laurenz Trost und Kraft in diesen Zeilen.
Er kniete in einer Bank der Kapelle Sant’Anna dei Palafrenieri, eines barocken Kirchenbaus, dessen Außenmauern die Grenze des inzwischen hermetisch abgeriegelten Vatikanstaates bildeten. Oberst Steiner hatte vier Schweizergardisten abkommandiert, damit Laurenz ungestört beten und sich auf seine Ansprache vor den Kardinälen vorbereiten konnte, die bereits wenige Schritte entfernt auf ihn warteten.
Er hatte die Sant’Anna-Kirche in seiner Amtszeit so gut wie nie besucht. Nun erst bemerkte er, dass der Grundriss der Kirche ein Achteck bildete, eine Form, die ihn seit Wochen verfolgte und tief in sein Leben eingegriffen hatte. Für einen Moment erschien ihm der achteckige Grundriss Sant’Annas wie ein Omen seiner bevorstehenden Herausforderungen. Ihm war nur nicht klar, wie er es interpretieren sollte.
»Lenk dich nicht ab, alter Mann«, knurrte er leise, erhob sich und setzte sich zurück in die Bank. »Konzentrier dich lieber.« Er blieb noch einen Moment sitzen und versuchte, ruhig zu werden. Seltsamerweise war er aufgeregter als vor seiner Wahl zum Papst sechs Jahre zuvor.
»Du bist nicht aufgeregt, du hast eine Scheißangst«, murmelte er. »Und jetzt fängst du auch noch an, mit dir selbst zu reden wie so ein Tattergreis.«
Dennoch tat es gut, die eigene Stimme zu hören, die sich in der Kapelle einige Meter ausbreitete und dann irgendwo zwischen den Säulen verlor. Laurenz blickte auf zu dem Holzkreuz über dem Altar.
»Du hast mich hierhergeführt, Herr«, sprach er das Bild des Gekreuzigten direkt an. »Du hast mir stets gezeigt, welchen Platz du für mich bereithältst, und ich war ehrgeizig und eitel genug, dir zu folgen. Ich werde dir auch diesmal folgen, hörst du? Aber diesmal, Herr, fehlt mir die Zuversicht. Ich kann beten, so viel ich will.«
Er stockte. Wollte noch etwas Wichtiges hinzufügen, ließ es dann jedoch.
»Das wollte ich dir nur sagen«, schloss er seinen Monolog. »Hilf mir einfach, so gut es geht.«
Dann trat er aus der Bank, bekreuzigte sich noch ein Mal und verließ die Kirche. Es wurde Zeit.
Sie erwarteten ihn im Konstantinsaal, dem größten der vier prächtigen von Raffael gestalteten Säle. Dreiundachtzig Kardinäle aus aller Welt, die nach dem Mord an Edward Kelly umgehend nach Rom geeilt waren. In ihren purpurnen Soutanen saßen sie unbehaglich auf einfachen Klappstühlen. Es war heiß und stickig im Saal. Unter den Stühlen standen kleine Mineralwasserflaschen. Mehr Komfort gab es nicht. Die Schweizergarde hatte Order, nach Laurenz’ Eintreffen niemanden mehr hinein oder hinaus-zu-lassen – bis eine Entscheidung gefallen war.
Als Laurenz den Saal betrat, ging ein verstörtes Raunen durch die Menge. Franz Laurenz trug diesmal keinen einfachen schwarzen Anzug, sondern bereits die weiße Soutane des Papstes. Er trug sogar eine Kopie seines Papstringes.
Ohne das Raunen zu beachten, das inzwischen zu Äußerungen des Unmutes und der Empörung angeschwollen war, stellte er sich an das improvisierte Rednerpult und blickte die versammelten Kardinäle an, bis Ruhe einkehrte.
»Aus dem Evangelium nach Lukas«, begann er, laut und vernehmlich. »Und als einige darüber sprachen, dass der Tempel mit schönen Steinen und Kleinoden geschmückt sei, sagte Jesus: Es wird die Zeit kommen, da von allem, was ihr seht, nicht ein Stein auf dem andern bleiben wird. Sie fragten ihn aber: Meister, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein, wenn das geschehen wird? Er aber antwortete: Seht zu, lasst euch nicht verführen. Denn viele werden kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin es! Und: Die Zeit ist gekommen. Laufet ihnen nicht nach!«
Laurenz hielt inne. Er hatte sich gut überlegt, was er sagen wollte, eine überzeugende Rede über die Bedrohung der Kirche, die Zeichen, die falschen Könige. Eine demütige und zugleich selbstbewusste Rede. Dennoch
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