Apocalypsis 3.08 (DEU): Orixàs. Thriller (Apocalypsis 3 DEU) (German Edition)
Widerstand ehemaliger Sklaven gegen die brutale Mission der katholischen Kirche. Die letzte Zuflucht der afrikanischen Götter. Heute ist es eine passive Form des Widerstandes gegen die Junta. Sie haben keine Ahnung, was in den Favelas los ist. Auf Missionare können die Menschen da prima verzichten.«
Der Himmel hatte sich inzwischen vollständig verdunkelt. Die Luft verflüssigte sich geradezu, das Atmen fiel schwerer, und von einer Sekunde auf die andere hämmerte ein tropisches Unwetter auf die Stadt herab. Ein Blitz spaltete die Welt, sein Donner knirschte durch die Straßen, und der Himmel entlud einen Ozean. Laurenz sprang auf und zog Sophia ins Innere des Lokals, wo nur ein junges amerikanisches Backpackerpaar saß, die mit der Speisekarte nicht zurechtkamen, und zwei alte Stammgäste, die sie neugierig anstarrten. Der Fernseher lief so laut, als ob er das Regenprasseln übertönen wollte.
»Ich bin kein Missionar«, sagte er, dicht vor ihrem Gesicht. »Aber ich muss einen Candomblé sehen, einen richtigen, nicht irgendeinen Touristentamtam.«
Sie wich nicht zurück, hielt seinen Blick. Im Trommelfeuer des Regens auf dem Wellblechdach war ihre Stimme kaum zu verstehen.
»Warum?«
»Weil … ich die Apokalypse verhindern muss.«
Später, in ihrem gelben VW-Käfer, als der Regen aufgehört und Laurenz seine Priesterkleidung durch eine Wanderhose und ein khakifarbenes Hemd getauscht hatte, duzte sie ihn einfach. Sie machte sich lustig über seinen Aufzug, der so typisch Deutsch sei. Sie fand, dass er zu blass sei. Sie gab ihm einen kurzen Abriss der Geschichte Brasiliens und berichtete über ihre Arbeit in den Elendsvierteln. Sie fuhr wie der Henker. Laurenz gefiel alles.
Sie warf einen Blick auf seine schwarze Aktentasche, die er immer bei sich trug, griff dann beim Fahren nach hinten und zog eine blassblaue Umhängetasche mit dem Logo eines japanischen Konzerns vom Rücksitz. »Hier, nimm die für deinen Kram, damit siehst du etwas lässiger aus.«
Widerspruchslos packte Laurenz seine fotokopierten Texte und sein Notizbuch in die Kunstledertasche um, und die schwarze Aktentasche verschwand hinter dem Sitz.
»Zwei Drittel der Leute gehen zum Candomblé«, plauderte Sophia weiter. »Offiziell sind sie alle Katholiken. Hier ist das kein Widerspruch. Findest du das nicht seltsam?«
»Nein. Solche Verschmelzungen von Religionen sind normal. Auch das Christentum war immer reich an Mystikern.«
»Die Junta und die Kirche dulden das Candomblé notgedrungen. Ändern könnten sie sowieso nichts. Die alten afrikanischen Götter sind mächtig. Nur das Gerücht über Blutopfer ist Blödsinn, wenn du mich fragst.«
Laurenz nickte. Wusste er bereits. Der Candomblé war eine afrobrasilianische Religion, in der die Götterwelt westafrikanischer Sklaven und Bantuvölker zu einem Synkretismus mit dem Katholizismus verschmolz. Diese Bantu-Gottheiten, die Orixás, waren personifizierte Naturgewalten, die bei den Candomblé-Ritualen in die Gläubigen einfuhren, die sich dazu mit Hilfe von Kräutertrunken und Trommeln in Trance tanzten. Zu vielen Orixás gab es Entsprechungen aus dem Katholizismus. Obatala, der Schöpfer, wurde zu Christus, Yemayá, die Mutter der Menschheit, zu Maria. Xangô entsprach dem Heiligen Hieronymus, Oshossi dem Heiligen Georg. Der Candomblé wies deutliche Parallelen zum haitianischen Voudou auf, angeblich gab es auch Candomblé-Strömungen, die einen Kult um lebende Tote zelebrierten. Der bedeutendste Unterschied zum Christentum war, dass es keinen Sündenfall und keine Vergebung gab. Oder brauchte.
Außer den Orixás gab es noch unzählige Geisterwesen im Candomblé. Eines davon schien ein löwenköpfiger Dämon namens Apedemak zu sein, auf den Laurenz bei seinen Recherchen wiederholt gestoßen war. Der Löwenmann hatte viele Namen. Jaldabaoth, Apedemak, Sachmeth, Pazuzu, Seth, Satan. Und obwohl sein Glaube, seine ganze Erziehung und sein Verstand ihm die Teilnahme an einem Candomblé verboten, war er entschlossen, diesem Löwenwesen gegenüberzutreten und es herauszufordern. Und dazu brauchte er einen Candomblé.
Die Straßen von Salvador da Bahia wanden sich in Schlangenlinien durch das riesige Stadtgebiet, bergauf und bergab. Auf den Hügeln thronten die besseren Wohngegenden mit Gärten und Pools hinter den Sicherheitszäunen. Darunter, in den Tälern und zwischen den sechsspurigen Avenidas , lagen die Favelas wie Lavazungen aus Müll und Elend. Und sie wuchsen, krochen immer weiter
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