Apocalyptica
betrachteten mit offenen Mündern die Szenerie. Keiner von ihnen schien in der Lage zu sein, sich zu bewegen. Das schwarzglänzende Ding auf der Brust des Wächters hatte grob die Form einer Wespe. Allerdings waren die Flügel des Wesens nicht durchscheinend und schillernd, sondern sahen aus wie aus Leder mit einem schützenden Panzer. Der Hinterleib zuckte immer wieder auf und nieder, und an den Stellen, wo er die Brust des Mannes traf, quoll in großen Mengen Blut hervor. Die Gegenwehr des Wächters wurde immer schwächer, und bald darauf machte er keinerlei Anstalten mehr, sich gegen die Kreatur zu stemmen. Inzwischen hatten auch die übrigen Wachen ihre Schockstarre überwunden und ihre Waffen gezogen. Einer der beiden Männer hielt ein klotziges, aber funktionales Gewehr vor sich, während der andere eine verhältnismäßig filigrane Pistole und einen Schlagstock in Händen hielt. Beide hatten Naphal noch nicht entdeckt, der sich eng an die hinter ihm liegende Wand presste und fassungslos auf die etwa fünfzig Zentimeter große Kreatur starrte, die mechanisch mit ihrem Hinterleib auf die regungslos am Boden liegende Gestalt des Wächters einhackte. Eine große Blutlache hatte sich unter dem Rücken des Mannes gebildet. Naphal konnte den Blick nicht von dem Geschehen abwenden und hörte das Getöse nur wie durch Watte. Die Kreatur vor ihm löste sich vom einen auf den nächsten Moment in eine Fontäne zähen Seims auf, der sich im Raum verteilte. Splitter des schwarzen Panzers bohrten sich in Naphals Haut, doch der Knabe spürte keinen Schmerz. Die Faszination der Geschehnisse hatte ihn völlig in ihren Bann gezogen.
Von jenseits der Tür drang tiefes Grollen an Naphals Ohren. Etwas Großes näherte sich ihnen. Die beiden Wachen wirbelten fast gleichzeitig herum, als sich ein dunkler Schatten auf sie legte. Als Naphal die Augen wieder öffnete, waren sie einfach verschwunden. Ein schriller Schrei über den Klippen war das letzte Geräusch, das der Junge wahrnahm. Dann war alles still.
Wie ein Schlafwandler erhob sich Naphal. Vorbei am regungslosen Körper des Mannes und den schleimigen Überresten der Riesenwespe wankte Naphal nach draußen und atmete kühle Seeluft. Er stand auf einem schmalen Sims, gerade breit genug, um einem Erwachsenen Platz zu bieten. Hinter dem brüchigen Eisengeländer fiel der Fels schroff und steil ab. Etwa zwanzig Meter unterhalb seiner Position erwarteten ihn scharfkantige Klippen, an die das Meer in schaumiger Gischt brandete. Er liebte das Meer, und kaum hatte er den ersten Schritt auf dem mit rostigem Wellblech und getrockneten Gräsern überdachten Sims getan, begann er die jüngsten Ereignisse bereits schon wieder zu vergessen. Er musste sich auf das konzentrieren, was vor ihm lag. Er war noch nicht in Sicherheit. Zwar wusste Naphal nicht, ob seine Mutter noch überall versteckte Wachen auf dem Gelände postiert hatte, aber zu irgendetwas mussten ja die Fahrzeuge gut sein, die trotz aller Ausgangsverbote ständig die Unterstadt verließen. Erst jetzt bemerkte der Junge den Schmerz in seinem linken Arm. Er sah an sich hinab und sah den schwarzen Splitter, der aus seinem Oberarm ragte. Der Ärmel seiner Tunika hatte sich von dem etwa fünf Zentimeter langen Objekt abwärts rot gefärbt. Auch der Rest seiner Kleidung sah kläglich aus. Überall konnte Naphal durch Risse in seiner Kleidung die Haut darunter sehen. Zwar waren die meisten Schnitte nicht lebensbedrohlich, aber sehr schmerzhaft. Naphal hatte im Zuge seiner weitläufigen Erkundungsausflüge durch Cordova schon oft Verletzungen erlitten. Meist hatte es sich dabei jedoch nur um Schürfwunden an den Knien oder Ellenbogen oder Schnittwunden an den Fingern gehandelt, eine derart große Verletzung hatte er bislang noch nicht ertragen müssen. Zunächst wollte er den Splitter einfach herausziehen, doch dann wurde ihm schwindelig, und er musste sich setzen. Nachdem er einige Zeit – für sein eigentliches Vorhaben viel zu lange – gewartet hatte, um sich zu sammeln, holte er sein Messer aus der Gürteltasche und trennte den Ärmel seiner Tunika knapp unterhalb der Wunde auf, um zu sehen, wie es darunter aussah. Der Anblick war schockierender, als er erwartet hatte. Das Stück aus dem Panzer der Riesenwespe war sauber durch seine Tunika ins Fleisch des Oberarms gefahren und hatte die Ausmaße eines Belegnagels – zumindest in etwa.
Auch der zweite Versuch, den Splitter zu entfernen, war nicht von Erfolg gekrönt. Um nicht
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