Apocalyptica
spring schon an, dachte er. Nichts. Er ballte die Faust und hämmerte auf das Armaturenbrett, bis jeder einzelne Knochen in seinem Arm schmerzte. Spring an, du verdammtes Boot, spring endlich an. Das ganze Boot erzitterte, als der Motor tief im Bauch des Schiffes mit einem tiefen Röhren die Arbeit aufnahm und es einen Satz nach vorn machte. Mit einem dumpfen Schlag und einem Kreischen, das in den Ohren schmerzte, setzte das Boot auf der Klippe auf. Naphal, den das plötzlich zum Leben erwachende Gefährt völlig überrascht hatte, wurde zurückgeschleudert und landete unsanft auf dem Deck des sich aufbäumenden Bootes. Dem Jungen wurde kurz schwarz vor Augen, als er auf seinem verwundeten Arm zu liegen kam. Mit weitaus mehr Zähigkeit, als man von einem Jungen in seinem Alter erwartet hätte, rappelte er sich jedoch wieder auf, griff nach dem Steuerhebel des Bootes und riss ihn ruckartig nach hinten. Das Gefährt reagierte ohne Umschweife und legte einen Spurt rückwärts ein, der Naphal diesmal nach vorn schleuderte und das Boot wiederum rasant abbremste, da er den Hebel mit seinem Körpergewicht nach vorn stieß. Es war wie der Ritt auf einem wilden Pferd seiner Mutter. Zwar hatte er selbst noch nicht reiten dürfen, hatte aber oft zugeschaut, wie Jungtiere zugeritten wurden. Der Trick war, so hatte Nestor einmal gesagt, niemals loszulassen und sich nicht zu verkrampfen. Man musste das Tier spüren, nicht gegen es arbeiten. Naphal versuchte, diese Weisheit auch hier anzuwenden. Nicht loslassen. Das Boot begann, sich in eine starke Schräglage zu begeben und im Kreis zu fahren, als Naphal zur Seite stürzte und den Hebel krampfhaft umklammert hielt. Gefährlich nah an den scharfkantigen Klippen zog das Boot mit hoher Geschwindigkeit enge Kreise. Der Motorenlärm war so laut, dass er die Stimmen der Menschen, die sich auf der schmalen Brüstung hoch über ihm versammelt hatten, nicht hörte.
Allmählich bekam Naphal ein Gefühl für sein Gefährt und gewann die Oberhand über den Steuerhebel. Nachdem er endlich einen festen Halt an Deck gefunden hatte, raste das Boot mit hoher Geschwindigkeit aufs Meer hinaus und folgte somit den Wünschen seines Herrn. Er hatte seinen ersten Ritt getan und die Aufgabe mit Bravour gemeistert. Naphal lächelte.
Kapitel 3
11. Januar 2093
Veitstanz-Virus (HCVV) auf dem Vormarsch – Weltgesundheitsbehörde riegelt Flughäfen ab und verbietet Großveranstaltungen
Auf einer außerordentlichen Sitzung rief die Weltgesundheitsbehörde (WHO) in Genf gestern am späten Abend die höchste Sicherheitsstufe im Seuchenfall aus.
Frankfurt – Auf Anordnung der Weltgesundheitsbehörde stehen seit heute Morgen um 4.30 Uhr sämtliche Gepäckbänder am Frankfurter Flughafen still. Gleiches gilt für alle Flughäfen weltweit. Sicherheitskräfte schickten Reisende, die heute Morgen an die Flugschalter kamen, umgehend wieder in ihre Wohnungen zurück, um größere Menschenansammlungen zu vermeiden.
Am Flughafen von Barcelona kam es zu Unruhen, weil sich einige Fluggäste weigerten, Anordnungen des Sicherheitspersonals Folge zu leisten. Dreißig Menschen wurden in Gewahrsam genommen, ein Sicherheitsbeamter erlitt bei den Ausschreitungen leichte Verletzungen.
Neben der Schließung sämtlicher Flughäfen ordnete die WHO außerdem an, Großveranstaltungen jeglicher Art wie Konzerte, Sportveranstaltungen oder Feste bis auf Weiteres auszusetzen. Für ein Zuwiderhandeln drohen den Betreibern von Großveranstaltungen empfindliche Geldbußen und Gefängnisstrafen. [tr]
2664
D ie Nachricht vom Auftauchen des Heeres der Traumsaat hatte die Ewige Stadt in Aufruhr versetzt. Seit den ersten Reporten verging kein Tag, an dem nicht Scharen eiligst heimkehrender Engel und Truppenbefehlshaber mit ihrem Stab in Roma Æterna eintrafen. Langsam füllte sich die Stadt, und erste Versorgungsengpässe und logistische Schwierigkeiten zeigten an, dass man sich seit langem nicht mehr mit einer derartigen Masse von Menschen hatte auseinandersetzen müssen. Ähnlich empfand es auch Midael, als er den Kongregationssaal im Petrusdom betrat und sich angesichts einer so großen Ansammlung von Würdenträgern der Angelitischen Kirche schlagartig unbehaglich fühlte. Als er Jahre zuvor zum ersten Mal vor das Konsistorium getreten war, war sein Auftreten ehrfurchtsgebietend gewesen. Seine mächtigen Schwingen hatten ihn erhaben und machtvoll wirken lassen. Er hatte sofort alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und einige
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