Apocalyptica
noch mehr kostbare Zeit zu vergeuden, entschloss sich Naphal, den Splitter zu lassen, wo er war und sich später darum zu kümmern. Nachdem er sich wieder aufgerafft hatte, folgte er dem Sims bis zu einer Treppe, die hinauf zur Terrasse führte, von der aus sie vor Tagen zum ersten Mal die Traumsaat entdeckt hatten. Von dort aus war es recht leicht, aus der Stadt zu gelangen, vorausgesetzt, Isabella hatte die Wachen an der Oberfläche abgezogen. War das nicht der Fall, würde seine Flucht wohl spätestens dort enden, und all seine Mühe wäre umsonst gewesen. Der Junge verlangsamte seine Schritte und blieb schließlich stehen, um seine Gedanken zu sammeln und sich einen Plan auszudenken, der ihn an sein Ziel führen würde. Es gab noch einen Weg. Er führte an den Strand, wo meist ein Boot lag, mit dem man Cordova verlassen konnte, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen. Wer es dort hingebracht hatte, wusste Naphal nicht, vermutete aber, dass auch hier seine Mutter dafür gesorgt hatte. Vielleicht, um im Notfall fliehen zu können, oder auch nur, um ungestört mit ihrem Sohn eine Bootsfahrt zu unternehmen, wie sie es getan hatten, als der Junge den Liegeplatz des Bootes kennengelernt hatte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und sich den schmerzenden Arm haltend drehte er sich um und lief die Treppe wieder hinab bis zu dem Punkt, an dem der schmale Sims begann, von dem aus er gekommen war. Der Weg zum Strand gestaltete sich weniger angenehm als die Metalltreppe, die auf die Terrasse führte. Nur eine schlüpfrige Leiter führte die zwanzig Höhenmeter in die Tiefe, und Naphal konnte seinen linken Arm kaum zur Hilfe nehmen. Immer wieder glitt er mit Händen und Füßen auf dem glitschigen Metall der Leiter aus, und ein paar Mal sah es so aus, als schwebe er nur an einer Hand baumelnd über dem Abgrund. Irgendwie schaffte es der Junge aber, die unzähligen Sprossen zu überwinden und kam schließlich schwer atmend auf dem feuchten Stein am Fuße der Leiter an.
Naphal war am Ende. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte, und seine Wunden brannten wie Feuer, nachdem sie mit der salzigen Gischt und seinem Schweiß in Berührung gekommen waren. Ihm war heiß und kalt zugleich, und er wünschte sich in diesem Augenblick nichts mehr, als wieder in seinem Zimmer zu sein und sich von Kemena eines ihrer Lieder vorsingen zu lassen, während sie ihn im Arm hielt und er ihren Herzschlag hören konnte.
Das Boot lag geschützt und verborgen in einer kleinen Felsbucht, die wie geschaffen für diesen Zweck schien. Das Deck war mit einer Plane abgespannt, damit kein Wasser eindringen konnte. Die Taue zur Sicherung waren so dick wie Naphals Oberarme, und er begann, ernsthaft daran zu zweifeln, ob er das Boot aus seiner Gefangenschaft befreien könnte. Glücklicherweise ließen sich die Knoten viel leichter lösen, als er gedacht hatte, und bereits nach wenigen Minuten schwamm das klobige Boot frei in seinem Element. Die Abdeckplane entfernte Naphal nur zum Teil, so hatte er einen erträglichen Schutz vor dem Wetter. Als er die schwankenden Planken des Bootes betrat, wurde ihm wieder schwindelig, und er beschloss, sich kurz auszuruhen, bevor er seine Flucht fortsetzte.
Als er wieder erwachte, hatte sein Arm um die Wunde herum eine hässliche Farbe angenommen und schmerzte furchtbar. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber die Lichtverhältnisse um ihn herum hatten sich kaum geändert. Immer noch wehte ein scharfer Wind von der See ins Landesinnere, und der Himmel war verhangen. Nein, nicht verhangen, bevölkert von bizarren Kreaturen. Dennoch verspürte Naphal im Angesicht solchen Grauens keine Angst. Sein Augenmerk galt nach wie vor der Flucht. Er fühlte sich energielos und müde, obwohl er geschlafen haben musste. Er versuchte, sich zu erinnern, wie seine Mutter das Boot zum Laufen gebracht hatte, wurde aber nicht so recht schlau aus den Instrumenten, die um den Steuerhebel in der Mitte angeordnet waren. Bei ihr hatte das alles ganz leicht ausgesehen. Er schloss die Augen und versuchte krampfhaft, sich an den Tag zu erinnern, als er und seine Mutter auf das Meer rausgefahren waren. Sie wolle ihm zeigen, was Freiheit bedeutete, hatte sie gesagt. Damals hatte er das nicht verstanden, jetzt, nachdem er das Gegenteil kennengelernt hatte, wusste er, was Freiheit bedeutete. Der pochende Schmerz in seinem Arm riss ihn zurück in die Gegenwart. Seine vor Schmerz und Kälte zitternde Hand glitt über die Instrumente. Spring an,
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