Apocalyptica
oft unüberlegt und emotional, und sie mochten sogar recht mit ihren Vorwürfen haben, doch Isabella wusste eins nur zu genau: Wer sich nicht bewegte, bewegte auch nichts. Sie hasste den Status quo, hielt seine Beibehaltung für Schwäche und würde lieber zu ihren Fehlern stehen und daran arbeiten, sie wieder auszubessern, als herumzusitzen und Angst davor zu haben, Fehler begehen zu können.
„Wie willst du Naphal finden, wenn wir erst einmal am Strand sind?“ Nestor, der neben dem Fahrer saß und sich mit beiden Händen krampfhaft an ihrem Vehikel festklammerte, um während der rasanten und holprigen Fahrt nicht hinausgeschleudert zu werden, musste Isabella anschreien, um den Fahrtwind und das Röhren des Motors zu übertönen.
Die Diadochin, die eine dicht anliegende Brille über die Augen gezogen hatte, um sich vor dem Fahrtwind und Schmutz zu schützen, ruckte mit dem Kopf in Nestors Richtung, so dass er davon ausgehen durfte, dass sie ihn ansah. Eine Antwort blieb sie ihm schuldig. Wie hätte sie dem hünenhaften Mann auch antworten können? Sie konnte sich die Frage noch nicht einmal selbst beantworten und wollte sich nicht auf eine Diskussion über Sinn und Sinnhaftigkeit ihrer Suche einlassen. Ihr würde schon etwas einfallen, so hoffte sie. Eins stand jedenfalls fest: Die Traumsaat machte keine Anstalten, ihren Konvoi anzugreifen. Stattdessen folgte ihnen ein Teil der schwarzen Masse, und sie war sich sicher, dass Tausende unsichtbarer Augen sie und ihre Begleiter genau beobachteten.
Als sie schließlich am Strand ankamen, hatte sich die Dämmerung des Morgens verzogen und war einem trüben Zwielicht gewichen, das die ganze Szenerie in ein unwirkliches Licht tauchte.
Sie hatten die Fahrzeuge auf den Klippen zurückgelassen und waren die steilen Felsen hinabgeklettert, um sich dem Ort zu nähern, den Nestor ihnen wies. Naphals Leibwächter musste keine besonderen Mühen aufbringen, um den Ort wiederzufinden, und jedes Mitglied ihrer kleinen Reisegruppe hätte den Punkt sicherlich auch allein gefunden, denn die Wegmarken waren überdeutlich. Überall lagen Kadaver von Traumsaatdämonen, die auf gewaltsame Weise umgekommen waren. Bei den meisten war der Panzer an mehreren Stellen geborsten, und eine zähe, dunkelbraune oder schwarze Flüssigkeit hatte sich mit dem grobkörnigen Sand zu einer Suhle verbunden, von der ein stechender Geruch ausging und der viele der Umstehenden dazu veranlasste, sich die Tücher, die sie um den Hals trugen, vor Mund und Nase zu binden. Die Wunden stammten eindeutig von einer Klinge, und zwar einer sehr scharfen, denn die Panzer waren an den Einstich- und Schnittkanten oft mehrere Zentimeter dick, und Isabella und auch einige andere der hier Anwesenden hatten bereits Erfahrung mit ähnlich resistenten Dämonen sammeln dürfen.
An den Überresten eines Lagerfeuerchens blieb die Diadochin stehen und ging in die Hocke. Sie traute ihrem Sohn vieles zu, aber ein Feuer zu entfachen gehörte nicht dazu. Also musste die geflügelte Gestalt dafür verantwortlich sein. Damit schied für sie die Möglichkeit einer Traumsaatkreatur in Begleitung Naphals zunächst aus. Als sie zu Nestor aufsah, der unmittelbar neben ihr stand, konnte sie erkennen, dass er in diesem Augenblick dasselbe gedacht hatte. Beide schwiegen. Es gab zahllose Möglichkeiten, wer der oder die geheimnisvolle Gestalt sein mochte, mit der ihr Sohn jetzt zusammen war.
Als Isabellas Blick an Nestors Gesicht vorbei erneut in den Himmel schwenkte, traf sie die Erkenntnis mit solcher Wucht, dass sie fast rücklings umgefallen wäre. Stattdessen wankte sie nur wie trunken. War sie die ganze Zeit über noch davon ausgegangen, dass die Traumsaatdämonen ihnen von der Küste her gefolgt waren, so strafte das Bild, das sich am Himmel über ihnen abzeichnete, ihre Einschätzung Lügen. Es war nur ein Zufall, dass ihr Weg und der der Dämonen sich für eine Weile überschnitten hatten. In Wirklichkeit aber stand dort oben in den Wolken ein übergroßer Pfeil, der ihnen den Weg wies. Ihre anfängliche Euphorie verwandelte sich schnell in ein Loch aus banger Finsternis, als ihr die Konsequenz ihrer Schlussfolgerung aufging. Was sie vor wenigen Stunden noch lapidar dahergeredet hatte, verwandelte sich vor ihrem inneren Auge in schreckliche Gewissheit. Die Traumsaat war nicht wegen irgendwelcher Überfälle auf ihre Stadt oder einer Schlacht oder Ähnlichem hierhergekommen. Sie waren Naphals wegen hier.
„Wie habt ihr mich
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