Apollofalter
und Wellen und an die warme Haut eines Mannes im Süden Frankreichs, den sie und ihre Freundin sich in einem kleinen Zelt geteilt hatten. Damals, als sie noch jung und unvernünftig waren. »Alex?... Bist du es wirklich?«
Am anderen Ende ertönte ein glucksendes Lachen. »Ich sitze hier über uralten Fotoalben. Dein zwanzigster Geburtstag. Les-Saintes-Maries-de-la-Mer. Der Stadt der Zigeuner. Ich erinnerte mich dunkel, dass du irgendwie bei der Koblenzer Polizei gelandet bist. Da wollte ich es mir nicht nehmen lassen, dir zum Fünfzigsten zu gratulieren. Ist doch ein fast so denkwürdiger Geburtstag wie der zwanzigste. Oder?«
»Ach Alex«, sagte Franca. »Ich freu mich wahnsinnig über deinen Anruf. Es ist übrigens noch gar nicht so lange her, dass ich an dich gedacht habe. Aber ich hätte nicht gewusst, wo ich nach dir suchen sollte. Wo treibst du dich denn rum?«
»Ziemlich weit weg. In Amerika. Portland, Oregon.«
»Was machst du denn dort?«
Alex lachte ihr gurrendes Lachen. »Ich hab einen reichen Amerikaner geheiratet. Und weißt du was? Er liebt die kleine Schlange an meinem Busen.«
Alex hat einen Amerikaner geheiratet. Genau wie ich auch. Irgendwie haben uns immer ähnliche Vorlieben verbunden, dachte Franca. Und im gleichen Moment: Wer weiß, wie lange sie noch verheiratet sein wird. »Mein Tattoo wird mich ewig an dich erinnern. Obwohl es schon ein bisschen verblasst ist«, sagte sie.
»Meins ja auch. Nichts hält ewig.«
»Damals dachten wir, wir würden ewig leben«, meinte Franca mit einem kleinen Anflug von Wehmut in der Stimme. »Heute sind wir der Ewigkeit ein Stückchen näher gerückt.«
»Du wirst doch im Angesicht deines reifen Alters nicht melancholisch werden?«
»Keine Angst.« Franca lachte. »Soweit ist es denn nun doch nicht mit mir gekommen.«
»Ich schick dir alle erdenklich guten Wünsche über den Ozean. Du weißt ja, dass mein Fünfzigster auch bald ansteht. Hast du nicht Lust, mit mir zu feiern?«
»In Portland?«
»Klar.«
Franca überlegte einen Moment. »Wie weit ist Portland von Seattle entfernt?«
»Quasi um die Ecke. Nach amerikanischen Verhältnissen.«
»Vielleicht komme ich wirklich«, sagte Franca. Dann könnte sie endlich Georgina besuchen. Die hatte noch nicht angerufen. Es würde ihr ähnlich sehen, wenn sie den fünfzigsten Geburtstag ihrer Mutter einfach vergäße.
»Ich würde mich ganz doll freuen«, sagte Alex herzlich. »Ich glaube, wir haben uns sehr viel zu erzählen.«
»Das glaub ich auch.« Mit einem Lächeln legte Franca auf. »Das war eine ganz alte Freundin von mir«, sagte sie, als sie in die fragenden Gesichter ringsum schaute. »Sozusagen eine Busenfreundin ...« Sie presste die Lippen zusammen, um nicht laut loszuprusten.
»So, dann können wir ja.« Der Chef trat nach vorn. Räusperte sich und setzte zu einer Rede an.
»O Gott, hoffentlich keine Grabrede«, murmelte jemand.
»Nun, da Sie in Ihrer Lebensmitte angelangt sind, liebe Frau Mazzari«, begann Anton Osterkorn feierlich und rückte die getönte Hornbrille zurecht, »mitten im Leben sozusagen, da fängt der Mensch an zu überlegen, ob er nicht was verpasst hat.«
»Lächeln, egal wie hart das Leben ist«, flüsterte Frankenstein, der neben ihr stand und seine schadhaften Zähne bleckte.
»Oder aber er blickt stolz auf das zurück, was er bis jetzt geleistet hat. Und wir meinen, Sie, liebe Frau Mazzari, haben allen Grund, stolz zu sein.«
Weiter hinten sah sie, wie der lange Norbert das Cover eines Büchelchens hochhielt und demonstrativ auf den Titel tippte. ›Trostbüchlein für den älteren Mitbürger‹, stand darauf. Das Cover zeigte ein Gebiss im Wasserglas. Franca wusste, das war ein Racheakt. Weil sie ihm zu seinem Vierzigsten einen Gutschein für eine Woche »Essen auf Rädern« geschenkt hatte.
»In diesem Sinne möchten wir Ihnen alle ganz herzlich gratulieren.« Der Chef war am Ende seiner Rede angekommen. Höfliches Klatschen.
»Nun musst du aber endlich die Kerzen ausblasen, bevor sie ganz heruntergebrannt sind«, meinte Karin.
Franca trat vor die Torte, spitzte die Lippen und blies und blies. Irgendwann ging ihr die Puste aus. Ein paar Kerzen brannten immer noch. »Ich schaff’s nicht«, rief sie und hob ergeben beide Hände.
Hinterhuber hatte ein Einsehen und kam ihr zu Hilfe.
So wie immer.
E n d e
Nachbemerkung
Nichts entsteht vollkommen neu. Immer greifen wir auf Vorhandenes zurück, das uns auf
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