Aprilgewitter
verleumden, und das tut sie anscheinend jetzt auch in Berlin.«
Caroline wiegte zweifelnd den Kopf. »Ermingarde Klampts frühere Sticheleien erscheinen mir nach dem, was Sie mir erzählen, liebste Lore, weitaus plumper als die Verleumdungen, die jetzt im Umlauf sind.«
Lore zuckte mit den Achseln. »Wer sollte es sonst sein? Ich war vorher noch nie in Berlin und kenne hier niemanden.«
»Es mag ja sein, dass Frau Klampt Bekannte oder Verwandte in Berlin hat, die ihr nach dem Mund reden. Allerdings müssten diese Leute von Natur aus bösartig veranlagt sein.«
In diesem Moment fiel Lore ein, dass sie eine Person bislang vollkommen außer Acht gelassen hatte, Malwine von Trettin nämlich. Die mochte ebenfalls Freunde und Bekannte in Berlin haben, die ihr zu Gefallen diese Gerüchte in Umlauf brachten. Sie seufzte und dachte zum wiederholten Mal, dass Fridolin und sie wohl doch besser in Bremen geblieben wären. Im nächsten Moment schalt sie sich einen Feigling. Sie lebte nun einmal in der Reichshauptstadt und musste sich hier durchbeißen. Dies hieß aber auch, dass sie sich nicht im Haus verstecken durfte.
»Ich glaube, es reicht für heute. Jetzt habe ich Lust, ein wenig durch Berlin zu flanieren. Wenn Sie nichts dagegen haben, meine Liebe, werde ich eine Droschke rufen lassen, die uns ins Zentrum bringt. Ich würde gerne eines der neuen Cafés in der Straße Unter den Linden aufsuchen.«
In besseren Zeiten hatte Caroline mit ihrer Mutter öfter ein Café besucht, Schokolade oder Kaffee getrunken, Windbeutel gegessen und Kuchen geschlemmt. Seit weit über einem Jahr blieb ihr dieses Vergnügen jedoch versagt. Die Versuchung, dies wenigstens noch ein einziges Mal zu erleben, war groß. Ein wenig von dem Geld, das sie durch das Nähen verdiente, durfte sie doch wohl für sich ausgeben, dachte sie und blickte dann an ihrem Kleid herab. Es war eines der letzten, die ihr der Vater gekauft hatte, und noch nicht so stark aus der Mode wie die anderen. Darin würde sie sich auch in der Innenstadt sehen lassen können. Sie fasste einen Entschluss: »Wenn Sie es wünschen, komme ich gerne mit.«
»Sehr schön! Immerhin scheint die Sonne, und das Wetter ist warm genug, um gemütlich bummeln zu gehen. Jutta, kannst du Jean sagen, er soll nach einer Droschke rufen?«
»Ich bin schon unterwegs, gnädige Frau!« Das gutmütige Dienstmädchen freute sich, dass ihre Herrin sich endlich einmal in der Stadt umsehen und Neues kennenlernen wollte. Das würde ihr guttun.
XII.
F ür Lore war es eine neue Erfahrung, Berlin im Sonnenschein zu erleben. Zuerst fuhr die Droschke durch ruhige Straßen mit repräsentativen Villen und Herrschaftshäusern, später gelangten sie in lebhaftere Stadtteile, in denen es von Fahrzeugen, Fußgängern und Reitern in Uniform nur so wimmelte. Der Droschkenkutscher musste die Pferde zügeln und drehte sich kurz zu seinen Fahrgästen um. »Jetzt kommen wir nicht mehr so rasch voran, meine Damen. Hier ist immer etwas los! Aber so ist unser Berlin. Voll unter Dampf, wie unser Prinz Wilhelm zu sagen pflegt.«
»Wir haben es nicht eilig. Außerdem sehen wir auf diese Weise einiges von der Stadt«, antwortete Lore freundlich.
Der Droschkenkutscher ordnete sie als Provinzlerin ein, die zum ersten Mal in Berlin weilte, und sagte sich, dass sie ihm ein gutes Trinkgeld zahlen würde, wenn er ihr und ihrer Begleiterin ein paar Sehenswürdigkeiten zeigte. In der nächsten Stunde durchquerte er auf unterschiedlichen Wegen die Innenstadt, fuhr am königlichen Palast, dem Stadthaus und dem Roten Rathaus vorbei und gab dabei flotte Sprüche zum Besten. Zwischendurch beschimpfte er Kutscher, die ihm in die Quere kamen, auf das Übelste und raunzte Fußgänger an, die beim Überqueren der Straße nicht aufpassten.
»Nichts für ungut, Gnädigste«, entschuldigte er sich bei Lore. »Aber wer hier in Berlin nicht unter die Räder kommen will, muss sich durchsetzen können. – He, du Lümmel! Mach, dass du verschwindest!«
Der Kutscher schwang die Peitsche und ließ sie knapp über dem Ohr eines jungen Burschen knallen. Dieser zuckte erschrocken zusammen, prallte dabei gegen eines der Pferde und wurde zu Boden gestoßen.
Ohne das Tempo zu drosseln, fuhr der Kutscher an ihm vorbei, wobei das linke Rad der Droschke das Bein des Gestürzten nur um Haaresbreite verfehlte. Dann entdeckte er vor sich ein Stück freie Straße und ließ seine Pferde antraben. Wieder drehte er sich zu Lore um. »Das wird diesem Kerl eine
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