Aprilwetter
zahl Miete und räum die Spülmaschine aus.«
»Ich helf dir«, sagte Benno, um die auf einmal angespannte Stimmung wieder zu lockern, aber so ganz gelang ihm das nicht, denn jetzt war Daniel sauer, dass man ihn missverstanden hatte, und stierte vor sich hin. Irgendwann fing er sich dann wieder und sagte: »Und ich räum sie ein.«
—
Im La Storia ist nicht viel los, kein Klo verstopft, kein Stromausfall, kein Notarztwagen vor der Tür – Benno hat noch immer ein schlechtes Gewissen, wenn er das Café eine Zeit lang allein lässt. Dabei ist nie was passiert. Aber anstatt sich auf diese Erfahrung zu stützen, nimmt er sie, wie alle Pessimisten, als empirischen Wert, der seine Ängste nicht etwa widerlegt, sondern vielmehr beglaubigt: Je länger nichts passiert ist , umso wahrscheinlicher wird etwas passieren. Er weiß, dass das dumm ist, und kann es nicht ändern.
Es ist auch dumm, sich den Kopf über Christine zu zerbrechen, darüber, ob sie mit Daniel zufrieden ist, ihn vielleicht betrügen würde, ob Benno derjenige wäre, den sie dafür in Betracht zöge, ob ihr Kuss auf seinen Mund am Abend zuvor ein Zeichen dafür war oder einfach nur Zuneigung, Freundlichkeit, Freundschaft, ein selbstverständlicher Ausdruck ihrer altvertrauten Herzlichkeit, derselben wie damals. Vor vierzehn Jahren konnte er nicht damit leben, aber jetzt kann er das. Christine ist nicht die große Liebe. Sie ist nur Daniels Frau.
Florian Münter lehnt an der Theke, starrt vor sich hin und hat die Hände um seine Tasse gelegt, als müsse er sich daran wärmen. Wie immer liegt ein adressierter und frankierter großer Umschlag neben ihm – Münter ist Schriftsteller und hat sich das Ritual angewöhnt, vor dem Absenden eines Manuskripts ins La Storia zu kommen, einen Cappuccino und einen Grappa zu trinken und Benno nebenbei ein Ohr abzukauen. Er ist Bennos Zutraulicher.
Jeder von ihnen hat einen oder mehrere Zutrauliche. Valerio zum Beispiel muss immer einen Boutiquenbesitzer ertragen, der so stolz auf sein Italienisch ist, dass er vor keinem Thema haltmacht, Fußballergebnisse, Urlaubserlebnisse, die römische Politik, was auch immer aus ihm herausblubbert, es blubbert auf Italienisch, und Valerio ist der Adressat. Souad hat natürlich einige, aber sie geht lässig damit um, ungestört in ihrem Arbeitsablauf und souverän mit immer gerade so viel Aufmerksamkeit, dass der Zutrauliche sich nicht ignoriert fühlt. Von ihr könnte man was lernen. Aber Benno steht fast immer an der großen De-Longhi-Maschine, er kann nicht hin und wieder unterbrechen, um jemanden zu bedienen oder einen Tisch abzuräumen, dieses Privileg genießen nur Valerio und Souad.
Münter ist manchmal anstrengend, aber zum Glück nie langweilig. Insofern hat es Valerio mit seinem Zutraulichen schlimmer getroffen, denn Werner, der Boutiquer, den Valerio an der Backe hat, ist ein dröger Wiederkäuer.
»Neues Buch?«, fragt Benno mit einem Blick und Fingerzeig auf den Umschlag.
»Bloß ein Anthologiebeitrag, dreißig Seiten«, sagt Münter, »keine Chance auf Geld, Ruhm und Leserliebe.«
»Warum machst du es dann?«
»Weil das bisschen Geld besser ist als keins.«
»Und worum geht’s?«
»Männer und Frauen.«
»Eine Liebesgeschichte?«
Münter lacht: »Aus dem Alter bin ich raus. Das Gegenteil. Nachrichten aus dem Krieg, Verluste, Scharmützel, Schlachtfelder, so was eher.«
Münters Frauenbild hat ernstlich gelitten, seit er von Elsa, der Bankerin, geschieden ist. Das Drama war vor der Eröffnung vom La Storia über die Bühne gegangen, Benno kennt Münter nur als den Geschlechterkriegsveteranen, der er sicher nicht immer war. Er kommt nur zu Zeiten, in denen Elsa arbeiten muss – die beiden waren noch nie gleichzeitig hier.
»Ist dir schon mal aufgefallen, dass das Wort ›Männermacht‹ etwas Negatives bezeichnet und das Wort ›Frauenpower‹ was Positives?«, fragt er jetzt, während er Benno seine Tasse hinstreckt, was als Bestellung eines weiteren Cappuccinos verstanden werden soll.
»Nein«, sagt Benno, »erst jetzt, wo du’s sagst.«
»Und dass alle Frauen Pornografie verachten, aber alle Pornos mit Frauen besetzt sind?«
»Außer den schwulen.«
»Das ist ein Nebenmarkt.«
»Und woher weißt du, was alle Frauen denken? Du hast nur ein paar gefragt, oder?«
»Gute Antwort. Geht aber am Thema vorbei.«
»Wenn du meinst.«
»Und dass wir andauernd was von Bürgerinnen, Wählerinnen, Ärztinnen, Politikerinnen, Managerinnen und so weiter
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