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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Tüte verborgen war, und Benno dachte, ich Idiot fahre meinem letzten Stündchen entgegen. Der Typ ist ein Psycho und wird mich mit dem Schraubenzieher erledigen, bevor er mich in seine riesige Kühltruhe packt und das nächste Jahr über schnitzelweise am Lagerfeuer brutzelt.
    Aber dann lehnte da wirklich diese ramponierte Maple-Neck-Strat am Bett, an einen ebenso antik wirkenden Fender Twin Reverb angeschlossen, mit stumpfen Saiten zwar, aber sonst aufs Beste gepflegt, Bünde, Mechaniken, Pick-ups, alles perfekt in Schuss, und Benno brauchte nur ein Paar Licks, zwei Akkorde und ein rockiges Riff, um zu wissen, dass er diese Gitarre nicht mehr aus den Händen geben würde.
    »Wie viel?«
    »Dreitausend. Das ist fair, oder?«
    »Viel Geld.«
    »Viel Strat.«
    Benno lachte. »Gibst du mir den Twin auch noch dazu?«
    »Für zweihundert extra, ja.«
    Benno hatte knapp zweitausend bei sich, die angesammelte Gage der letzten Gigs, also fuhren sie, den Verstärker und die Gitarre vor Bennos Sitz auf dem Boden, zum Motel, wo sie Phil, den Mixer, der vor dem Fernseher eingeschlafen war, weckten und um leihweise dreizehnhundert Dollar erleichterten. Helmuts Finger waren schauerlich krumm, als er das Geldbündel in seine Jacke steckte.
    »Woher kennst du Robertson?«, fragte Benno, nachdem sie Amp und Gitarre in sein Zimmer geschafft hatten.
    »Ich war drei Jahre lang sein Gitarrenroadie, er hat sie mir zum Abschied geschenkt. Mit der Auflage, sie nie an einen Idioten weiterzugeben.«
    »Wieso hast du aufgehört bei ihm?«
    »Seine Tochter stand auf mich. Sie war vierzehn.«
    »Danke. Mach’s gut.« Benno gab Helmut die Hand. Sie waren inzwischen wieder bei dem Dodge angekommen, und Benno hatte es eilig, nach drinnen zu hasten, neue Saiten aufzuziehen und auf dieser Wunder-Strat zu spielen, wenn auch ohne den Verstärker, denn es war kurz vor drei Uhr nachts. Musste er sich eben vorstellen, wie sie klang. Und morgen alle Nachbarn mit der Nationalhymne wecken. Und dem Yankee Doodle hinterher.
    »Ich flieg nach Hause und such meinen Sohn«, sagte Helmut, als er einstieg, »dieses Land hier sieht mich nicht wieder.«
    »Viel Glück«, sagte Benno, winkte, als der rostige Riese mit dem Sound eines Weltkriegspanzers auf die Straße einbog und sich davonquälte. Zu einer letzten Nacht im White-Trash-Reservat. Benno hatte einen Blick in seine eigene Zukunft getan.
    —
    Die Melodie ist verschwunden, als Benno abschließt und sich auf den Weg nach oben macht. Wie immer isst er zwei der übrig gebliebenen Tramezzini, aber danach schaltet er den Fernseher nicht an wie sonst, sondern versucht, mit der Gitarre die Musik zurückzuholen. Leider ist sie nicht mehr aufzufinden. Irgendwo in seinem Innern ist sie noch, muss sie sein, aber den Weg zu den Fingern findet sie jetzt nicht mehr. Melodische Einfälle sind wie Poesie, Geschenke auf Zeit, man nimmt sie entweder sofort an, oder sie verfallen.
    Er würde die Strat gern anschließen – das hat er, seit er hier ist, erst ein einziges Mal getan, aber er lässt es, weil er über sich Christines Schritte hört und immer wieder ein Hämmern. Sicher hängt sie Bilder auf. Er will sie nicht stören.
    Das ist fast wie Zusammenleben, denkt er, ich höre, wenn sie da ist, und fühle mich anders. Aber wie anders? Besser? Irritiert? Gestört? Irgendwie aufgehoben? Er überlegt, ob er ihr wie gestern seine Hilfe anbieten soll, aber er will sich nicht aufdrängen. Wenn sie ihn braucht, wird sie sich melden. Wenn sie sich nicht meldet, will sie alleine sein.
    Seine Finger wandern übers Griffbrett, und auch das ist anders als bisher – er hört sich selbst auf einmal wieder zu, spielt mit Verstand, nicht einfach nur wie ein Sportler beim Training, der innerlich unbeteiligt die immergleichen Figuren absolviert. Das ist fast schon wieder Musik, was er da in seinen Händen spürt und trocken, ohne Volumen, als glasiges Zirpen der resonanzlosen Saiten hört. Und noch etwas hört er, aber das nur in seinem Innern, die ganze Band aus der Carson Lounge, Stephens Geige mit ihrer fauchenden, hysterischen Energie, Nicks Pedal Steel mit ihrer manipulativen Emphase, Davids stoischen Bass und das Schieben und Klingeln von Tylers Drums und Warrens Gitarre. Jetzt gerade, in diesem Moment, vermisst er die Jungs. Auch das ist noch nie da gewesen. Liegt das an Christine? Erinnert sie ihn an sich selbst, als er noch ein Musiker war?
    —
    In La Baule waren sie sich auch ohne weiße Anzüge wie eine Neubesetzung des

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