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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Films Jules et Jim vorgekommen, aufgekratzt, elektrisiert und auf eine Weise fieberhaft lebendig, die limitiert sein musste, nicht so bleiben konnte, immer gewahr, dass die heikle Balance ihrer vordergründig zwar nur gespielten, aber in Wirklichkeit allen dreien die eigene Sehnsucht kitzelnden Menage à trois ein fragiles Gebilde war. Inzwischen blitzten die Signale der Verlockung, des Versprechens, der Möglichkeiten nur so zwischen ihnen hin und her, aber ohne Christine wirkten Daniel und Benno müde und wie ausgelaugt, hatten einander nichts Wesentliches mitzuteilen und mieden den Blick des anderen. War Benno mit Christine allein, was nie über längere Zeiträume vorkam – immer nur eine Viertelstunde oder wenige Minuten, dann mied er zwar auch ihren Blick, aber er hätte ihr viel zu sagen gewusst. Ob die Worte allerdings je den Weg über seine Lippen finden würden, das stand auf einem anderen Blatt. Auch sie war dann wie abgeschaltet, aber es lag keinerlei Müdigkeit in der Luft – eher war es Vorsicht, Zurückhaltung, Neutralität, die sie sich aufzuerlegen schien, um nicht ein Daniel ausschließendes Zeichen an Benno zu senden. Beim Einrichten des grünen Hauses waren sie einander viel näher gewesen als jetzt, da sie auf einmal inhalts- und stimmlos wurden, sobald sie miteinander allein waren.
    Benno begriff irgendwann, dass er mit Daniel nur noch zusammen sein wollte, weil dann Christine strahlte und lebte und ihm ins Innerste griff mit ihrem Wesen. War er allein mit ihm, hatten sie nichts mehr gemein, was selbstverständlich oder sicher gewesen wäre, nicht die Musik, nicht die Erinnerung an vier Jahre gemeinsames Arbeiten und Wohnen, nicht die Karriere, die sie gemacht hatten, den Platz, den sie in der Szene und dem Leben ihrer Hörer einnahmen, nichts mehr außer Christine.
    In Biarritz, wo sie wieder ein Grandhotel bezogen hatten, war es, als hätte der Regisseur gewechselt. Nicht mehr Truffaut schien zwischen ihnen die Fäden zu ziehen, sondern Rohmer, die rücksichtsvolle Leichtfertigkeit aus La Baule hatte sich auf subtile, kaum merkliche Weise verwandelt in ein Lauern, das heimliche Zählen von Gesten und Blicken, die Beobachtung aus dem Augenwinkel, ob die anderen ein Anzeichen von Intimität erkennen ließen.
    —
    Sie schlenderten zu dritt, Christine bei Benno und Daniel untergehakt, über die Place Bellevue, als sie aus der Richtung des Kasinoeingangs Musik hörten. Jemand spielte Little Wing von Jimi Hendrix auf einer akustischen Gitarre. Daniel zog die Augenbrauen hoch, sah Benno an und sagte: »Hingehen. Anhören. Da kann’s jemand echt gut«, und änderte die Richtung, denn sie waren auf dem Weg zum Strand gewesen.
    Eine Gruppe junger Leute saß auf der Treppe neben, vor und hinter dem Musizierenden, einem Knaben mit bravem Scheitel, Hornbrille und Wildlederjacke, der das Stück nur instrumental spielte, aber so fließend und mühelos, dass man die Gesangsmelodie dennoch zu hören glaubte. Die Zuhörer träumten, ließen die Blicke schweifen und fühlten sich so sichtbar zur richtigen Zeit am richtigen Ort, dass Daniel, Benno und Christine sich dazusetzten, um daran teilzuhaben.
    Neben dem Spielenden saß ein zweiter Gitarrist, die Arme um sein Instrument geschlungen, und hörte zu. Die beiden schienen zusammenzugehören, denn sie wechselten hin und wieder Blicke, wie man es nur tut, wenn man genau die Stellen kennt, die entweder heikel sind oder besonders gelingen – diese Blicke waren so etwas wie die Bitte um Unterstützung und das Gewähren derselben. Daniel und Benno sicherten sich genauso gegenseitig ihre Anwesenheit und Teilnahme zu, wenn sie miteinander spielten.
    Statt eines Applauses gab es aus der Zuhörerschaft Kopfnicken und Murmeln am Ende des Liedes – diese Leute kannten sich. Sicher waren sie gemeinsam unterwegs, vielleicht eine Studentengruppe oder junge Kirchengemeinde. Gesprochen hatte bisher niemand, es war nicht auszumachen, woher sie kamen.
    Jetzt stimmte der zweite Gitarrist seine tiefe E-Saite auf D herunter, der mit der Brille steckte sich Picks auf die Finger und sie begannen ein Stück gemeinsam. Daniels Augenbrauen verschwanden fast unter seinem Haaransatz, und Benno lachte stumm, nachdem die ersten Töne erklungen waren. Christine drehte den Kopf von einem zum anderen und flüsterte: »Ist das von euch?«
    Daniel lächelte und nickte. Sie hatten das in der Klinik gespielt. Es war Demian , ein Stück von ihrem ersten Album, und die beiden Jungs spielten es

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