Aqualove
geöffnet. Es hätte ja auch die Speisekarte der örtlichen Pizzeria drin sein können. Ich rechnete mittlerweile mit allem. Die Fragen waren von der Stange, die Antworten auch. Was war ihr größter Erfolg? Was tun Sie in Ihrer Freizeit am liebsten? Welchen Stellenwert hat ... IN & OUT hatte keine Akademiker-Zielgruppe. Aber es war das einzige Magazin, das seit Jahren etwas Neues über Waterman bringen konnte, und deshalb würde es wie die letzte Flasche Wasser vor der Wüste gekauft werden.
Mittlerweile war es nach drei, und ich fummelte geistesabwesend an meinem Mob herum. iPhone, iPad, iPod, das waren die neuzeitlichen Helfer der letzten Jahrzehnte gewesen. Jedes der Geräte konnte Musik abspielen, generieren, Gespräche abwickeln, Daten speichern, vervielfältigen, vernetzen. Natürlich wäre es der Industrie immer noch lieber gewesen, drei Geräte als nur eines zu verkaufen. Aber auf Dauer ließen sich die User nicht mehr verarschen. Sie wollten nur ein Gadget, das alles konnte. Die Industrie hatte sich gefügt, und der Markt war riesig. Irgendwo auf diesem Planeten musste es Apple-Müllberge so groß wie der Mount Everest geben. Während beim Streaming, das das Fernsehen abgelöst hatte, alles immer größer geworden war, wurde in der Kommunikation alles kleiner. Ein Mob wog nur wenige Gramm.
Papier, das war einmal. Zu viel Wasser war bei der Produktion verbraucht worden. Ich war der einzige Idiot, den ich kannte, der noch Artikel mit externer Tastatur tippte – Diktiergeräte, das war etwas für Anwälte. Ich hatte bei meinen Eltern im Keller noch auf einer alten elektronischen Schreibmaschine aus Omas Zeiten geübt. Von Zeit zu Zeit hing ich noch in den Buchabteilungen der Bibliotheken herum oder kaufte in den wenigen noch verbliebenen Antiquariaten Bücher.
Der helle Klang meines elektronischen Freundes erinnerte mich, dass ich Post hatte. Ich überflog die neuesten Absender. Dann las ich auf meinem Display Ethans Mailadresse. Es war ein Schock! Er hatte meine private Adresse benutzt. Nicht die, die ich üblicherweise für die Arbeit benutzte. Die private war Freunden und Familie vorbehalten. Ich wollte nicht von jedem beliebigen Leser persönlich angemailt werden.
Natürlich war da auch ein Anflug von Verwunderung. Ich war hin- und hergerissen und für einen kurzen Moment geschmeichelt. Ethan Waterman war beharrlich. Warum, war mir schleierhaft. Sicherlich nicht wegen meiner journalistischen Verdienste. An Zufälle glaubte ich schon lange nicht mehr. Dafür hatte meine Mutter gesorgt, die von einer Verschwörungstheorie zur nächsten den Überblick über die laufenden Gefahren bereits verloren hatte. Was genau wollte Waterman von mir? Meine eigene kleine Existenz war so was von unspektakulär. Ich machte meinen Job – eher gut, nicht brillant. In Sandy Hills war ich ein völlig unbeschriebenes Blatt. So unbeschrieben, wie es eben geht, wenn man vor zwei Monaten zugezogen ist. Meine Laufbahn an der Uni war normal bis auf ein paar Auslandsaufenthalte, bei denen ich aber weder Spionagetätigkeiten ausgeübt noch Waffenverkäufe an konterrevolutionäre Staaten getätigt hatte. Die Promis, die ich interviewte, waren bekannt, im besten Fall berüchtigt. Prominente der Kategorie B bis D auf der nach unten offenen Richterskala. Keiner war so wichtig, dass man sich deshalb an mich heranmachen musste – auf keinen Fall! Seine Grenzüberschreitung machte mich wütend. Vielleicht musste ich Waterman besser kennenlernen, wenn ich sein Interesse an mir verstehen wollte. Ich rief die Homepage von DNAssociated auf und verbrachte danach noch eine fruchtlose Stunde auf Seiten im Netz, die mir etwas zum Thema DNA erklären sollten. Damit hatte er immerhin sein Vermögen gemacht.
Keiner meiner Chemie- oder Biologielehrer würde sich heute noch an mich erinnern können, was schlicht und ergreifend daran lag, dass ich nicht einmal durchschnittliche Leistungen in diesen Fächern erbracht hatte. Die Doppelhelix, Enzyme, Bausteine des Lebens – das waren die Zutaten, aus denen Foltermethoden für Schüler gemacht wurden. Ich verstand gerade noch die Wichtigkeit der Informationen, die sich in unserer DNA versteckten. Die Vorstellung, dass dieser individuelle Code mich unverwechselbar machte, war spannend und beruhigend zugleich. Es gab auf chemischer Ebene etwas, das ganz allein mich verkörperte. Es waren nicht allein meine verkorkste Erziehung, das Leben und meine beschränkten Erfahrungen, sondern auch ein vorab
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