Arabellas Geheimnis
Es passte zu ihr – glatt und vollkommen geformt, doch völlig unzivilisiert.
„Predigst du mir Moral, Tristan?“
„Nein. Doch ich muss den Befehl des Königs ernst nehmen und eine mögliche Bedrohung seiner Braut in Betracht ziehen. Daher sollte ich mich zweifellos um meine Pflichten kümmern. So wie du, oder?“
Simon lachte. Seine unbekümmerte Sicht der Dinge bot oft ein willkommenes Gegengewicht zu der eher düsteren Weltanschauung Tristans. „Eine oder zwei zu verführen richtet doch keinen Schaden an …“
„Bleib bei den Witwen, mein Freund, außer, du begibst dich auf Brautschau. Ich möchte nicht, dass meiner Wachmannschaft Gerede über Unehrenhaftigkeit anhängt.“
Als die Männer das Studierzimmer verließen, lugte Arabella über die hohe Truhe, hinter der sie sich versteckt hatte.
Die Tür schloss sich wieder. Sie waren fort.
Ihr Gesicht brannte von der belauschten Unterhaltung. Die Männer hatten Englisch gesprochen, doch Dank der Unterrichtsstunden, die ihre Großmutter ihr gegeben hatte, war sie dieser Sprache mächtig.
Wie es schien, war ihre Mutter zu Recht so misstrauisch gegenüber den männlichen Mitgliedern des Hofes. Offensichtlich waren Edelmänner lüsterne Wesen, die wenig Rücksicht auf Schwächere nahmen. Allein der Gedanke, dass sie sich einfach so ein Ziel für ihre lustvollen Spiele aussuchten, ließ Arabella das Blut gefrieren.
Sicher war ihre Mutter durch einen solchen Plan von Karl Vallia verletzt worden. Auch war ihre Mutter bei Hofe gewesen, als es geschah. Arabellas Vater mochte in dem gleichen Gemach gestanden und geplant haben, Luria Rowan die Unschuld zu rauben.
Arabella schauderte bei dem Gedanken. Und doch – zumindest der dunkelhaarige Ritter hatte versichert, dass er eine Erklärung für das Verschwinden von den Frauen finden wollte, um das sich sonst niemand zu sorgen schien. Das sprach für ihn, auch wenn er es nur tat, um sich seinen guten Ruf beim König zu erhalten. Sie wunderte sich, warum die böhmischen Edlen sich so wenig um den Verlust ihrer Frauen, Schwestern und Töchter kümmerten.
Doch jetzt war keine Zeit für traurige Gedanken. Jemand konnte sie während ihrer Abwesenheit vermisst haben, und sie wollte nicht Gegenstand allzu prüfender Blicke werden. Leise öffnete sie die Tür und spähte hinaus. Als sie sich unbeobachtet wähnte, schlüpfte sie mit schwererem Herzen als zuvor wieder in den Saal. Die englischen Ritter mochten das böhmische Gefolge beschützen, doch wer würde die Gruppe vor den englischen Rittern beschützen?
Arabella eilte zwischen den dicht beieinander stehenden Menschen hindurch und suchte Maria. Als sie endlich einen Blick auf das kräftige Rosa des Surcots ihrer Freundin erhaschte, musste sie feststellen, dass Maria sich gerade in einer angeregten Unterhaltung mit dem dunkelhaarigen Ritter namens Tristan befand.
Während Arabella sich rückwärts davonschleichen wollte und dabei überlegte, wie sie Maria vor den verdorbenen Absichten ihres Gesprächspartners retten konnte, stieß sie mit jemandem zusammen.
„Entschuldigt, ich …“
Sie blickte in das Gesicht der ranghöchsten Frau, die an diesem Abend zugegen war. Ein goldener Kopfschmuck krönte die Prinzessin, die grüßend nickte.
„Werte Edeldame Arabella, amüsiert Ihr Euch?“, fragte Prinzessin Anne von Böhmen und half Arabella, das Gleichgewicht wiederzufinden.
Wie peinlich!
„Es tut mir leid, wirklich, ich …“
„Die Edeldame Maria suchte nach Euch. Ich werde Euch zu Ihr bringen.“
Arabella schnappte nach Luft und suchte fieberhaft nach einem Vorwand, nicht mitgehen zu müssen. Doch noch bevor sie widersprechen konnte, war Prinzessin Anne bereits in Richtung Maria und des fremden Ritters aufgebrochen, und Arabella musste ihr notgedrungen folgen. Sie befürchtete, ihrer Verdammnis entgegenzulaufen, die ihr sicher war, wenn der Ritter erst einmal begriff, wer sie war.
„Arabella“, rief Maria und zog ihre Freundin zwischen sich und den Fremden. „Es tut mir leid, dass ich dich aus den Augen verloren habe.“
Die Prinzessin begrüßte Tristan voller Wärme. Offensichtlich kannte sie ihn gut, auch wenn Arabella bei Marias Geplapper die Unterhaltung der beiden nicht verstehen konnte.
„Bitte sehr, edle Dame.“ Ein Mann reichte Maria einen frischen Becher Wein. Es war der andere Ritter aus dem Studierzimmer.
Arabella hätte ihrer warmherzigen Freundin gerne eine Warnung zugerufen, um sie von dem gut aussehenden Engländer mit den
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