Arabellas Geheimnis
gekleidet war wie er.
Er war nicht von hier.
Die Erkenntnis überraschte sie. Als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, war ihr das nicht aufgefallen. Anders als bei den anderen Männern im Saal war sein Haar lang. Es fiel ihm knapp über die Schultern und war so dunkel wie eine Neumondnacht. Jetzt bahnte er sich den Weg durch den übervollen Raum. Feiernde Gäste wichen eilfertig vor ihm zurück. Arabella konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber sie erinnerte sich nur allzu gut an die durchdringenden, grauen Augen.
Was machte er hier?
Als würde er mit einem Mal ihren prüfenden Blick spüren, drehte er sich um, und schaute sie direkt an.
Ihr stockte der Atem und sie betete, dass er ihren bereits zweifelhaften Ruf nicht noch völlig ruinierte und von ihrer Begegnung im Wald erzählte. Arabella war klar, dass die meisten jungen Edelfrauen nicht allein im Wald herumspazierten. Wenn sie auch ihre ungewöhnliche Herkunft nicht verleugnete, so wollte sie als Enkelin einer berühmten Heilerin keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zaharia hatte sie gedrängt, bei Hofe nicht aufzufallen.
Der Ritter verzog leicht den Mund. Als Antwort darauf schnürte es Arabella die Brust zu. Mit keinem Zeichen verriet er, dass er sie erkannte, aber er kam auf sie zu.
„Entschuldige mich“, murmelte Arabella zu Maria. Während sie vor dem nahenden Fremden davoneilte und davor flüchtete, im Mittelpunkt des Interesses einer anderen Person zu stehen, wusste sie nicht recht, was sie als Nächstes tun sollte.
Leute schauten sie befremdet an, als sie durch die Menge hastete und versuchte, sich vor ihm und davor, als ein wildes Kind des Waldes entlarvt zu werden, in Sicherheit zu bringen. Ihre Mutter hatte sie gewarnt, dass die Mitglieder des Hofes in ihrem Urteil über Menschen, die anders waren, gnadenlos sein konnten.
Arabella erreichte den rückwärtigen Teil des Saales und wandte sich um, um sich zu vergewissern, dass der Ritter ihr nicht folgte. Unglücklicherweise befand er sich nur ein paar Schritte hinter ihr. Doch im Augenblick schien er sie nicht zu sehen.
Von der Rückseite des Saales führte ein kurzer Gang zu einer Reihe von Türen. Arabella drückte eine der Klinken herunter, überprüfte kurz, ob der Ritter ihr auch nicht auf den Fersen war und huschte in das Gemach.
Endlich in Sicherheit.
Leise schloss sie die Tür und erkannte die Umrisse von Möbeln in dem kleinen Raum. Ihr Blick fiel auf einen derben, aus Horn gefertigten Krug und dazu passende schwere Becher auf einer Anrichte. Während sie sich fragte, wie lange sie sich hier wohl würde verbergen können, wanderte sie umher und betrachtete einen kleinen Stapel ledergebundener Bücher und ein hohes Fenster aus berühmtem böhmischen Glas. Ihr Herzschlag hatte sich gerade wieder beruhigt, als ein Geräusch vom anderen Ende des Zimmers sie zusammenfahren ließ. Die Tür wurde langsam geöffnet.
2. KAPITEL
„Kann das nicht warten? Unser Gastgeber ruft uns zum Abendessen, Tristan.“
Tristan schüttelte den Kopf und führte Simon in das kleine Studierzimmer. Der Lärm im Saal hatte begonnen ihn zu ermüden. Es gab eitle Edelleute, die sich zu sehr bemühten, die englischen Gäste zu beeindrucken und schöne Frauen, die sich in Nichts auflösten. Nun gut, eine schöne Frau. Tristan konnte die Gesellschaft nicht länger ertragen – besonders, da die einzige weibliche Person, die heute Abend sein Interesse geweckt hatte, offenbar nichts von ihm wissen wollte.
Warum war sie ihm so vertraut vorgekommen? Er kannte niemanden in diesem Land. Sie war jedoch geflüchtet, bevor er sie ansprechen konnte.
„Nein, es kann nicht warten.“ Er schloss die Tür und verbannte damit die Musik der Spielleute und den Lärm nach draußen. „Bevor wir die Prager Burg verlassen, müssen wir herausfinden, wie groß die Bedrohung des königlichen Gefolges ist. Wenn die Edlen oder die Prinzessin auf irgendeine Art in Gefahr sind, kümmere ich mich augenblicklich darum.“
Als er sich umdrehte, um sich an den Holztisch in der Mitte des Raumes zu setzen, hätte Tristan schwören können, den Duft einer Frau wahrzunehmen. Ein seltsamer Gedanke in solch einem dunklen Refugium, das doch sicher einem Mann gehörte. Eine Tapisserie, auf der eine Jagdgesellschaft und ein fliehender Hirsch dargestellt waren, schmückte die einzige Wand, an der keine Regale voller Bücher standen.
„Ist das nicht ein Problem des Königs, während wir hier in Böhmen sind?“ Simon ließ sich auf
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