Arabellas Geheimnis
die entgegengesetzte Richtung und führte Arabella dann durch Gänge, in denen sie immer mehr Menschen trafen. Musik drang an ihr Ohr, als sie sich dem großen Saal näherten. „Du musst nicht aufgeregt sein, Arabella. Das Gefühl vergeht sofort, wenn du erst einmal durch die Tür getreten bist.“
Hilflos einer Welt ausgeliefert, in der ihre Mutter durch falsche Versprechungen verletzt worden war, blieb Arabella in ihren hübschen Schuhen stehen. Würde sie ebenso anfällig sein für den schönen Schein?
„Maria.“ Sie wandte sich ihrer neuen Freundin zu, der sie vertraute, wie sonst niemandem hier. „Vielleicht kannst du mich noch in einer anderen Angelegenheit beraten. Ich weiß nichts über Männer. Ich habe keinen Vater, keinen Bruder. Ich habe kaum je mit einem männlichen Wesen gesprochen. Erwartet man von uns … dass wir bei solch einem Ereignis wie diesem uns mit ihnen unterhalten?“
Maria sah sie mit großen Augen an und erwiderte lange Zeit gar nichts. Aber Arabella war nur zu froh, dass sie so ihren Eintritt in den großen Saal hinauszögern konnte. Endlich blinzelte Maria.
„Das meinst du ernst.“
„Ja.“ Automatisch wollte Arabella nach dem kleinen Messer greifen, dass sie normalerweise an der Hüfte trug. Dann erinnerte sie sich daran, dass sie es an dem Tag, an dem sie dem fremden Ritter im Wald begegnet war, verloren hatte. Es war ein Talisman von ihrer Großmutter. Arabella sehnte sich schmerzlich nach dem kleinen Glücksbringer, der das Werkzeug einer weisen Kräuterfrau war. Besonders jetzt, da sie Trost durch etwas Vertrautes brauchte, vermisste sie ihn.
„Und du bist tatsächlich im Wald aufgewachsen, oder?“ In Marias Stimme lag ein kindliches Staunen, und Arabella fühlte sich ein wenig besser, weil sie von der am meisten geachteten weisen Frau der ganzen Gegend aufgezogen worden war.
„Das habe ich nie abgestritten. Ich betrachte es nicht als einen Mangel, so wie es der Hof tut.“
„Ich ebenso wenig, Arabella, glaub es mir. Dein Leben klingt für mich so wunderbar. Doch jetzt mal ehrlich, die Männer benehmen sich gar nicht so schlecht. Zumindest nicht in meiner Gegenwart.“ Sie lachte, und ihre Augen funkelten verschmitzt. „Es hat seine Vorteile, das Mündel des deutschen Königs zu sein. Bleib an meiner Seite. Wir werden den Männern gemeinsam entgegentreten.“
„Gemeinsam.“ Es hörte sich einfach genug an. Und wenn auch ihre Mutter von den Männern gesprochen hatte, als wären sie gefährliche Wesen, so fragte Arabella sich doch oft, ob Lady Luria nicht einfach nur das Pech gehabt hatte, einem schlechten Exemplar begegnet zu sein.
Arabellas Vater.
Fröhliche Klänge wehten durch den Gang, und sie entsann sich ihrer Pflicht, als andere Hofdamen mit leise rauschenden Gewändern aus Samt und Leinen an ihnen vorbeiflanierten.
„Es wird dir gefallen“, versicherte Maria ihr und zog sie zu dem riesigen Portal und hinein in den unvergleichlichen Saal.
Schlanke Holzsäulen stützten das Deckengewölbe über dem höhlenartigen steinernen Raum. Glänzende Seide blendete Arabella. Fackeln erhellten mit farbenfrohen Tapisserien bedeckte Wände und Gemälde, die einen metallischen Glanz besaßen, der wirkte, als rührte er von Gold her.
Eine Frau grüßte Maria, die, obwohl sie gewöhnlich dem Hofe fernblieb, wohlbekannt war. Arabella lächelte und nutzte die Zeit, den riesigen Raum mit all den Menschen zu studieren.
Langsam wandte sie jedem der Anwesenden ihre Aufmerksamkeit zu und war von den Details der verschwenderisch ausgestatteten Versammlung fasziniert. Sie bewunderte die kostbaren Edelsteine, welche die Gewänder der Frauen schmückten, die mit Pelz verbrämten Mäntel der Männer und besonders die etwas schmucklosere Kleidung eines Mannes …
Ihr blieb das Herz stehen.
Ein Irrtum war ausgeschlossen. Das war der Ritter, der sie im Wald hatte weinen sehen. Wenn man es denn überhaupt weinen nennen konnte, bedachte man, wie laut sie ihren Zorn gen Himmel geheult hatte.
Sein Anblick hatte eine eigentümliche Wirkung auf sie. Damals im Wald war dieselbe seltsame Empfindung über sie gekommen. War es Furcht … und vielleicht auch freudige Erwartung, die ihr das Blut mit einem Mal rascher durch die Adern strömen ließ?
Sie verdrängte den unangenehmen Gedanken und versuchte, den Ritter zu betrachten, ohne von ihm entdeckt zu werden – was nicht besonders schwierig war, da der Mann in eine Unterhaltung mit einem Mann vertieft war, der genauso dunkel
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