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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Rebellenhaufen begünstigen. Folgendes wird sich ereignen: Ihr werdet von einer Immigrationswelle aus Afrika überschwemmt werden, die von Libyen aus nach Europa überschwappt. Es wird niemand mehr da sein, um sie aufzuhalten. Osama Bin Laden wird sich in Nordafrika einrichten und Mullah Omar den Kampf um Afghanistan und Pakistan überlassen. Bin Laden wird an eurer Türschwelle stehen. In Tunesien und Ägypten ist ein politisches Vakuum entstanden. Die Islamisten können heute von dort aus bei euch eindringen. Der Heilige Krieg wird auf eure unmittelbare Nachbarschaft am Mittelmeer übergreifen. Die Jihadisten werden die Fünfte Amerikanische Flotte angreifen. Das Piraten-Unwesen wird eure Gewässer unsicher machen, fünfzig Kilometer von euren Küsten entfernt. Die Gefolgsleute Bin Ladens werden zu Lande und zur See Lösegelder von euch erpressen. Man wird in die Zeiten des ­berühmtesten türkischen Korsaren Barberousse zurückfallen, die Zeitender Seeräuber der Osmanen, die eure Schiffe erbeuteten. Eine weltweite Krise wird sich daraus ergeben und eine Katastrophe, die alle heimsucht. Die Anarchie wird sich von Pakistan und Afghanistan bis nach Nordafrika ausdehnen. Das werde ich nicht zulassen …« – Der Text ist einem Interview entnommen, das im Februar 2011 im Journal du Dimanche erschien.
    Zum Zeitpunkt dieser Aussage konnte Qadhafi nicht ahnen, daß Osama Bin Laden am 2. Mai 2011 von einer amerikanischen Sondereinheit der »Seals« auf pakistanischem Boden erschossen würde. Aber in Tunesien hatte bereits die »Jasmin-Revolte« den Diktator Ben Ali vertrieben, und auf dem Tahrir-Platz von Kairo erzwang die aufgebrachte Menge den Rücktritt des Präsidenten Mubarak. In ­Libyen selbst wurden vor allem im Osten des Landes, in der Cyrenaika, ab Mitte Februar 2011 die ersten Ansammlungen von Demonstranten, die den Sturz Qadhafis forderten, von den Sicherheitskräften zusammengeschossen. Dieser Tyrann, der sich als Künder des wahren Islam darstellte, schockierte die gelehrten »Ulama« zutiefst, als er den Koran in sehr eigenwilliger »Ijtihad« interpretierte und den »Hadith«, die Schilderung aus dem Leben des Propheten, rundweg ablehnte.
    Gegen die radikalen Strömungen, die man heute als »Salafiya« bezeichnet, hatte er schon in den achtziger Jahren zu unerbittlicher Repression ausgeholt, zumal gegen die »Partei der islamischen Befreiung« und jene »Partisanen Gottes«, die sich auf ehemalige Afghanistan-Kämpfer stützten. Qadhafi, der den internationalen Terrorismus weltweit betrieben hatte, konnte sich tatsächlich darauf berufen, in unerbittlicher Feindschaft zu El Qaida zu stehen. Vor allem richtete sich seine Verfolgung gegen die Anhänger des Sufi-Ordens, die kriegerische Bruderschaft der »Senussi«, die in der aufsässigen Cyrenaika immer wieder zur Rebellion aufrief. Die Senussi hatten schon vor dem Ersten Weltkrieg gegen die koloniale Eroberung durch die Italiener einen bemerkenswerten Widerstand geleistet und weite Gebiete der Sahel-Zone unter ihre Kontrolle gebracht. Am Ende war die gewaltige Übermacht Mussolinis dieser Streiter Allahs auf grausame Weise Herr geworden.
    Nachihrem Sieg im Zweiten Weltkrieg sollten die Briten in den Reihen der Senussi auf einen achtbaren, aber unfähigen alten »Emir« zurückgreifen und ihn zum König von Libyen unter dem Namen Idris I. ausrufen. Sie glaubten, einen gefügigen Vasallen gefunden zu haben. Nachdem im Jahr 1969 ein junger Offizier namens Qadhafi mit einem Militärputsch die Macht an sich gerissen hatte und sie 42 Jahre lang in unbeschränkter Willkür ausübte, blickten die Nachkommen der Helden des Heiligen Krieges gegen die Italiener mit wachsendem Ingrimm auf diesen Beduinensohn, der dem nicht sonderlich angesehenen Stamm der Khadafa entstammte. Immer wieder war die Tariqa der Senussi unter der Losung angetreten: »La Illaha illa Allah wa Muammar el Qadhafi’ adu Allah – Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muammar Qadhafi ist ein Feind Allahs.«
    Der Führer der »Jamahiriya«, wie er das von ihm konzipierte Staatsgebilde Libyen populistisch nannte, hatte gute Gründe, auf die Nachsicht der westlichen Staatenwelt zu rechnen, als er gegen die Rebellen des Jahres 2011 mit ruchlosen Methoden vorging und seine Luftwaffe einsetzte, um den Aufruhr der Senussi in den

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