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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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nahen Yarmuk-Tal und unterrichtete an der neuen Universität. Seine Frau war Deutsche. Wir hatten uns vor Jahren in München angefreundet. Fauzi wies eine gewisse Ähnlichkeit mit Omar Scharif auf. Er sprach mit leiser, weicher Stimme. Er packte mich gleich in sein Auto, und wir fuhren nach Westen auf die Golan-Grenze zu. Wir ließen Irbid mit seinen Betonwänden, seinen Moscheen und Kirchen schnell hinter uns. Die Sonne stand schon tief. Die Straße erkletterte die nackten Höhen von Umm Qeis. »Man braucht hier nur den Boden zu kratzen, und man stößt auf Funde aus der Zeit des Hellenismus und des Byzantinischen Reiches«, erklärte Fauzi. Mehr als zehn Millionen Menschen hätten zur Blütezeit in dieser Kornkammer des Römischen Reiches gelebt, wo heute nur Steine und Sand zu finden sind.
    Die Ausgrabungen von Umm Qeis hatten eine stattliche Basilika, Thermen und Stallungen, ausgedehnte Handelsviertel mit gepfla­sterten Gassen und ein Amphitheater freigelegt, wo für die Patrizier mächtige Sessel in den Basalt gehauen waren. »Wie konnte eine solche Kultur untergehen?« fragte ich und blickte auf die schmutzstarrendenAraberkinder, die vor Lehmhütten spielten. »Es müssen gewaltige Erdbeben stattgefunden haben«, lautete die Antwort. »Das Irrigationsnetz wurde verschüttet.« Das geschah etwa zur Zeit der Omayyaden-Kalifen. Es war schon ein seltsamer Zufall, daß der Untergang ertragreicher Agrarwirtschaft im Orient und im Maghreb, daß der Verfall blühender Siedlungsgebiete – hier wie im Umkreis von Antiochia durch angebliche Naturkatastrophen verursacht – so häufig mit der Ankunft der erobernden Beduinen zusammengefallen war.
    Die Felsen von Umm Qeis fielen im syrischen Grenzgebiet steil zum Tal des Yarmuk ab, an dessen Ufern der Kalif Omar die Heere von Byzanz entscheidend geschlagen hatte. Es war einer jener Abende, die auch die sprödeste Landschaft in Glanz und Purpur tauchen. Jenseits des Yarmuk stellte sich abrupt und schwarz ein bedrohliches Massiv quer, der Golan. Auf dem Kamm waren israelische Positionen und Radarsysteme zu erkennen. »So nah sind sie, die ›Vettern – the cousins‹«, scherzte Fauzi. »Die Wasserfläche, die im Westen glänzt, ist der See von Genezareth. Wo die ersten Lichter flackern, liegt Tiberias. Jener Kegel, der den Blick nach Haifa versperrt, ist der Berg Tabor, wo Christus vor seinen Jüngern verklärt wurde und mit den Propheten sprach. Wenn wir uns nach Norden wenden, können wir die Nähe von Damaskus ahnen. So eng, so geballt liegt hier alles nebeneinander. Der Nahostkonflikt wird geographisch im Westentaschenformat ausgetragen.«
    Den ganzen Nachmittag über hatte ich versucht, Fauzi zu einer politischen Aussage zu bewegen. Aber der Agronom war beharrlich ausgewichen. Er erging sich in loyalistischen Gemeinplätzen, wenn er vom König sprach. Die Palästinenser, die immerhin siebzig Prozent der Gesamtbevölkerung Jordaniens ausmachten, seien integriert, auch wenn viele Flüchtlinge noch in Lagern lebten. Die gemäßigten arabischen Kräfte seien durch die jüngste Libanon-Krise gestärkt worden, und man könne jetzt ernsthaft an einen Kompromiß mit Israel denken. Im Irak wirke König Hussein tatkräftig mit, die arabische Nation vor den Persern zu schützen.
    Ein Panzerspähwagen und zwei Armeelastwagen rollten vorbei. Aufder Fahrt waren mir die Bunker und Stellungen aufgefallen, die die jordanische Armee ausgehoben hatte. Die Soldaten Husseins, so schien mir, hatten seit 1970 viel von ihrer Disziplin, ihrem britischen Drill verloren. Neuerdings sammelte der König seine verläßlichen Beduinen wohl zum eigenen Schutz rund um Amman. Die Palastgarde bestand immer noch aus Nachkommen jener Tscherkessen, Tschetschenen und anderer Kaukasier, die der türkische Sultan vor dem Ersten Weltkrieg zum Schutz der Hedschas-Bahn aus dem Kaukasus in das damalige Wüstenkaff Amman umgesiedelt hatte. In ihren Paradeuniformen sahen diese Leibwächter wie Don-Kosaken aus.
    Fauzi hatte seinen Kebab beendet. Unvermittelt blickte er mich ernst an. »Warum soll ich dir Lügen erzählen? Wir Araber sind so tief gedemütigt, so sehr erniedrigt worden wie nie in der Geschichte. Daran sind unsere Herrscher schuld, die Könige und Präsidenten ohne Ausnahme. Am schlimmsten sind diese Saudis mit ihren müden Augen, aus

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