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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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»grünen Bergen«, im »Djebl akhdar« der Cyrenaika, zu zerschlagen. Hatte er nicht schon einmal die Charakterlosigkeit der Amerikaner und Europäer ausgenutzt, nachdem er eine Vielzahl von Aufstands- und Terrorgruppen rund um den Erdball finanziert und mit Waffen versorgt hatte? Seine unermüdliche, aber dilettantische Aktivität reichte von Nordirland über das Baskenland und Korsika bis nach Indonesien und den Süd-Philippinen. Das Schwergewicht seiner revolutionären Unterstützung kam jedoch den afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen südlich der Sahara gegen den weißen Kolonialismus zugute. Auf diese Weise infiltrierten seine Agenten sämtliche Sahel-Staaten wie auch die schwarzen Kampfgruppen in Angola, Namibia, Zimbabwe und Südafrika.
    Oberst Qadhafi war als junger Offizier ein hemmungsloser ­Bewunderer des ägyptischen Rais Gamal Abdel Nasser. Sein Wü­stenland befand sich zu dessen Lebzeiten mit einer Präsenz von Hunderttausenden ägyptischer Zivilhelfer und Soldaten in einer Abhängigkeitvon Kairo, die Nasser, wenn er – statt sich in Syrien und Jemen zu verzetteln – eine stillschweigende Annexion der benachbarten »Jamahiriya« vorgenommen und dem armen Niltal dank der gewaltigen libyschen Petroleumvorkommen eine solide ökonomische Grundlage verschafft hätte, endgültig zum Führer der Araber hätte aufsteigen lassen. Aber nach dem Tod Nassers entstand bittere Feindschaft zwischen dessen Nachfolger Anwar es-Sadat und dem libyschen »Volksführer«. Durch seine zunehmende Arroganz, durch seine vielfältigen Komplotte und eine ins Un­begreifliche ausgreifende Paranoia stieß der Beduinensohn, der ­ursprünglich als Einiger der arabischen Welt auftreten wollte, nur noch auf Gegner und Spötter in der Arabischen Liga.
    Also entdeckte dieser unberechenbare Mann, der in einem Zelt zu nächtigen pflegte, seine afrikanische Berufung und sollte sich nunmehr mit den gewaltigen Erdölgewinnen, die ihm zur Verfügung standen, als »großer Bruder« all jener inzwischen zur Unabhängigkeit gelangten Machthaber Schwarzafrikas aufführen, deren Völker in totale Mißwirtschaft und Armut abglitten oder mit internen – vom Westen begünstigten – Aufständen zu kämpfen hatten. Wenn zur Stunde zahlreiche afrikanische Staatsoberhäupter eine Verurteilung des libyschen Scharlatans, wie ihn die Araber sehen, ablehnen, wenn zumal die Südafrikaner nicht von ihm abrücken, so ist das auf jene Jahre zurückzuführen, als der »African National Congress« sich auf die Hilfe aus Tripolis gegen die Apartheid der weißen Regierung von Pretoria verlassen konnte. Diverse afrika­nische Staatschefs, wie der exzentrische Tyrann Idi Amin von Ugan­da oder der dem Wahnsinn verfallene »Empereur« Jean-Bédel ­Bokassa in der Zentralafrikanischen Republik, traten auf sein Drängen zum Islam über.
    Im Westen wurde Qadhafi zur Horrorgestalt – weit gefährlicher als später das Schreckgespenst Osama Bin Laden. Am 5. April 1986 explodierte in der Diskothek »La Belle« in Berlin, die häufig von amerikanischen Soldaten besucht wurde, eine Bombe, die drei Tote und zweihundert Verletzte verursachte. Die Spuren der Tat deuteten auf die libysche Botschaft in Ost-Berlin, und Qadhafi hatte wohl nichtbedacht, daß in Washington Ronald Reagan zu harten Gegenschlägen bereit war. Zehn Tage nach »La Belle« bombardierte die U.S. Air Force den vermutlichen Aufenthaltsort Qadhafis in seiner Unterkunft Bab el-Aziziya. Durch einen Zufall entging er dem Tode, aber er versuchte, sich umgehend an all jenen Angehörigen der Atlantischen Allianz zu rächen, deren er habhaft werden konnte. Sein Werkzeug war vermutlich der palästinensische Terrorist Abu Nidal, der sich aufgrund seiner Mordlust mit Yassir Arafat überworfen hatte.
    Der lange Arm des Diktators
    Von der Rachsucht Qadhafis habe ich einen persönlichen Eindruck bewahrt. Am Tage nach dem amerikanischen Bombardement von Tripolis hatte ich einen Flug nach Beirut gebucht, wo der Bürgerkrieg in vollem Gange war. »Wollen Sie denn wirklich zu diesem Zeitpunkt in den Libanon fliegen?« fragte mich die Stewardess. Doch der Geo -Photograph Thomas Hegenbart war bereits ein paar Tage zuvor in Richtung Levante abgereist, und ich wollte ihn bei unserem gemeinsamen Reportageprojekt über

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