Arabiens Stunde der Wahrheit
Hochhäusern aus Lehm in der Oase Sheban von Hadramaut. Ein »Völkerfrühling« ganz anderer Art hatte in dem ehemals britischen Teil der Arabischen Halbinsel Jemen ja bereits in Form des Marxismus-Leninismus stattgefunden. Es lohnt sich, auf diese Periode zurückzuÂblicken, als Hammer und Sichel den traditionellen Halbmond, den »Hilal« des Islam verdrängten. Ich war aus Addis Abeba in Aden eingeflogen und besaà keinen südjemenitischen Sichtvermerk im PaÃ. Aber es kam gleich ein ölig wirkender Zivilist mit lauernden Augen auf mich zu. »Sie sind angekündigt«, sagte er und führte mich durch eine Serie versandeter Holzschuppen an finster blickenden Uniformierten vorbei zum Ausgang. Bevor er mich in einen Dienstwagen setzte, versuchte er sogar zu lächeln: »Welcome in Socialist Yemen!« sagte er. Meine Kollegen seien bereits im Land und würden mich im »Crescent Hotel« treffen. Bei diesem sympathischen Kamerateam handelte es sich um die Französin Marie Claude und den Luxemburger Gordian. Schlüsselfigur dieses Unternehmens war jedoch Rosy, eine aus Kairo gebürtige blonde Jüdin, Frau eines der besten Pariser Orientexperten. Ihre politischen Ãberzeugungen bewegten sich links von Marx, wie Marie Claude spöttelte. Gleichzeitig war sie als Sympathisantin des militantesten Flügels des arabischen Nationalismus bekannt. Rosy hatte uns die seltene Drehgenehmigung für Südjemen beschafft. In unserem bunt gemischten Team betätigte sie sich als Tontechnikerin und trug schwer am Gewicht der Nagra.
Auf meinem Weg zum »Crescent« wies ich den Fahrer an, einen Umweg durch die Gassen des »Kraters« zu machen. Die schwarzen Lavafelsen bildeten eine beklemmende Kulisse und lieÃen dem blauen Himmel Südarabiens nur einen Spalt. Hier war ich im Sommer 1962 in einem arabischen Hotel vor Hitze halb umgekommen undhatte den Zusammenprall zwischen arabischen RevolutioÂnären und britischer Ordnungstruppe beobachtet. Der Krater war jetzt wie ausgestorben. Der Chauffeur setzte mich aus eigener Initiative vor dem Night Club des »Aden Rock«-Hotels ab, wo eine speckige ägyptische Bauchtänzerin von schweigenden Keffieh-Trägern gierig angestarrt wurde. Lange würde diese Frivolität im Âpuritanisch-sozialistischen Staat wohl nicht mehr dauern. Die marxistischen ÂBehörden hatten sogar die Lieder der berühmten ägyptischen Sängerin Umm Kalthum aus ihrem Rundfunkprogramm verbannt.
Warum hatte sich ausgerechnet der Südjemen dem Marxismus-Leninismus verschrieben? Auf welchen Umwegen war Aden zum Angelpunkt der sowjetischen Flottenstrategie im Indischen Ozean geworden? Warum hatte die islamische Immunität gegen die kommunistische Ideologie in diesem Falle versagt? Die Engländer hatten am Bab el-Mandeb besonders ungeschickt taktiert. Sie hatten viel zu lange versucht, die rückständigen Feudalherren in den winzigen Emiraten des Hinterlandes gegen das Aufbegehren der Hafenarbeiter und Halbintellektuellen der Hauptstadt auszuspielen. Als der arabische Nationalismus nicht mehr zu hemmen war und Gamal Abdel Nasser ägyptische Truppen im Nordjemen zu einem aussichtslosen Feldzug einsetzte, hatten die Engländer jener Â
exÂtremistischen, straff organisierten Untergrundorganisation »Nationale Befreiungsfront â Jibhat-el-tahrir el watani« â in die Hand gespielt, die unter Leitung von traditionellen Bandenführern, Dorflehrern und ein paar Berufsrevolutionären den Aufstand der Pächter und Kleinbauern gegen ihre fürstlichen Ausbeuter vor Âallem in der unzugänglichen Gebirgszone von Radfan schürte. Am Ende stand die Machtergreifung eines roten, quasi-kommunistischen Regimes an der Südwestspitze Arabiens, die Schaffung eines Herdes umstürzlerischer Agitation.
Gordian und Marie Claude erwarteten mich an der Bar des »Crescent«. In der unheimlichen vulkanischen Gebirgsgegend von Beiha hatten sie den damaligen Staatschef Salim Rubaya Ali begleitet. Die beiden hatten lange im Orient gelebt und wuÃten, was von denBegeisterungsstürmen der Massen zu halten war. Sie waren dennoch beeindruckt. Im Gegensatz zum arabischen Nationalismus Gamal Abdel Nassers, der von den jemenitischen Ideologen der NLF â später wurde daraus die »Sozialistische Einheitspartei« â als kleinbürgerlich belächelt wurde, war in diesem
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