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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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wir vorbeikamen. Diese Tristesse von Sheban wurde am späten Nachmittag durch eine politische Kundgebung zusätzlich akzentuiert. Die »Volksfront für die Befreiung Palästinas« – PFLP in der Abkürzung –, die marxistisch-kommunistische Kampforganisation des christlichen Arztes George Habash, hatte zu einer Demonstration gegen Zionismus und Imperialismus aufgerufen. Schafiq, der zuständige Delegierte der PFLP für Südjemen, ließ eine kleine Tribüne aufbauen und warb über Lautsprecher um Teilnahme. Schafiq war ein blendend aussehender Palästinenser mit dezidiertem Auftreten. Es kamen fast nur neugierige Kinder zu der Veranstaltung. Die Frauen verharrten schamhaft am Rande des großen, sandigen Platzes. Ein paar Greise hatten sich vor dem Rednerpult hingekauert. Man merkte diesen Qat-kauenden Männern Skepsis und Gelassenheit an. Schafiq tat uns ein bißchen leid. »Es ist ein mühseliger Kampf, den wir führen«, gestand er am Ende.
    Im Regierungs-Gästehaus von Tarim saßen wir bis in die späte Nacht mit dem Palästinenser zusammen. Er sympathisierte sofort mit Rosy und fand in der ägyptischen Jüdin eine aufgeschlossene Gesprächspartnerin. Es berührte uns angenehm, daß Schafiq – im Gegensatz zu den uns begleitenden einheimischen Jemeniten – nicht einen Teil des Tages mit dem Kauen von leicht betäubenden Qat-Blättern verbrachte. Ein Diener hatte uns trüben Palmschnaps eingeschenkt, dessen Wirkung in jeder Hinsicht verheerend war.
    Der ewige Streit um die arabische Erneuerung wurde auch in dieser Nacht nicht gelöst, aber wir erfuhren immerhin, daß die Regierung von Südjemen die Befreiungsfront des marxistischen Arztes Habash eindeutig gegenüber der Fatah-Organisation Yassir Arafats begünstigte. Schafiq hatte angeblich ein paar seiner Leute auf der Insel Perim mitten im Bab el-Mandeb am südlichen Flaschenhalsdes Roten Meeres installiert, von wo sie die israelische Schiffahrt aus Eilath bedrängen sollten. Aber Moskau wußte das zu verhindern.
    Immer wieder diskutierten wir über das Rätsel, warum ausgerechnet in Aden der revolutionäre Nationalismus der Südjemeniten in das kommunistische Fahrwasser geraten war. Marie Claude, die sich wie stets mit soziologischer Gründlichkeit dieses Themas angenommen hatte, hielt eine Erklärung bereit, die einigermaßen plausibel klang. In den entlegenen Felsschluchten von Radfan, wo die marxistischen Agitatoren besonders aktiv waren, so hatte sie herausgefunden, lebten versprengte Reste jener Qarmaten-Sekte, die im zehnten Jahrhundert den Islam zu einer frühkommunistischen, total egalitären, jeden Besitz verneinenden Gesellschaft umformen wollten. Die Qarmaten waren Bestandteil jenes großen schiitischen Aufbegehrens, das parallel zu den Fatimiden-Kalifen von Kairo damals die gesamte islamische Umma erschütterte. Ausgangspunkt dieser Extremisten war die Insel Bahrein. Die Qarmaten hatten sogar Mekka gestürmt, zum Entsetzen der Rechtgläubigen die heiligen Stätten rings um die Kaaba verwüstet, den schwarzen Meteoriten entführt und besudelt. Sie waren dann besiegt und weitgehend ausgerottet worden bis auf jene Restgruppen im jemenitischen Gebirge, deren Nachfahren schließlich am Bab el-Mandeb mit tausendjähriger Verspätung die klassenlose Gesellschaft zu verwirklichen suchten. So lautete wenigstens die These der französischen Soziologin. Von Bahrein nach Jemen? Man kann immer nur staunen über die geistige Permeabilität der arabisch-islamischen Welt.
    Schon wenige Jahre nach Beginn ihres Afghanistan-Feldzuges haben die amerikanischen Dienste festgestellt, daß neben Pakistan, dessen zunehmende Anarchie die schlimmsten Befürchtungen weckt, sich in der Arabischen Republik Jemen das härteste Potential salafistischen Terrors zusammenbraut. Es fehlt nicht viel, und Jemen würde – ähnlich wie Somalia, das jenseits des Bab el-Mandeb in Grauen und Elend versinkt – als »failed state« bezeichnet. Die ­jugendlichen Reformer von Sanaa, die in Massendemonstrationen die Übernahme einer liberalen Staatsform, ja der Demokratie fordern,werden ihre Wunschvorstellungen nur schwerlich verwirklichen können.
    Die Republik Somalia, eine ehemals italienische Kolonie, die seit dem Sturz des Diktators Siad Barre in diverse Bruchstücke zerfällt und sich der Intervention

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