Arabiens Stunde der Wahrheit
äuÃersten Winkel der »Arabia felix« offenbar ein gesellschaftlicher Umbruch von seltener Konsequenz in die Wege geleitet worden. Der frühere Lehrer Salim Rubaya Ali, der sich gern mit seinem Kriegsnamen Salmin anreden lieÃ, bewegte sich auf einer diplomatischen Gratwanderung zwischen Moskau und Peking, neigte offenbar dem Maoismus zu, was ihm später zum Verhängnis wurde. Denn die RusÂsen verfügten über Sympathien und Einfluà bei den jemenitischen Streitkräften. Mit deren Hilfe sollte Präsident Salmin durch einen pro-sowjetischen Offizier, Ali Abdullah Saleh, endgültig an die Wand gespielt und schlieÃlich als »Verräter« hingerichtet werden. Die sozialistische Tugendhaftigkeit blühte auch hier im Schatten des Galgens. In einer für den Orient durchaus üblichen Kehrtwende war Ali Abdullah Saleh später ein treuer Gefolgsmann der USA geworden. Trotz seiner Verwundung im Juni 2011 versucht er krampfhaft, sich gegen die zentrifugalen Kräfte seines Staates als Präsident des Vereinigten Jemen mit der Hauptstadt Sanaa zu behaupten.
Ich hatte mich Gordian und Marie Claude angeschlossen, um endlich einen Blick auf Hadramaut werfen zu können, um jene langgestreckte Oasenkette im Süden des endlosen Wüstenquadrats des »Rubâ el-Khali« zu entdecken, die schon zu Zeiten der Königin von Saba und des Himyariten-Reiches den Weihrauch-Karawanen Schutz vor Sandsturm und Räubern bot. Eine klapprige Iljuschin hatte uns auf der staubigen Rollbahn abgesetzt. Der Schuppen, in dem die Sicherheitsbehörden amtierten, war mit revolutionären Inschriften bepinselt, die den »wissenschaftlichen Sozialismus« priesen sowie die Befreiung Arabiens von den reaktionären Feudalherren, den Verbündeten des Zionismus und des US-Imperialismus forderten. Ein Märtyrer des Befreiungskampfes war in grellen Farben wie ein indischer Heiliger abgebildet.
Sobaldwir unsere Fahrt durch Hadramaut antraten, verloren die offiziellen Parolen des Marxismus-Leninismus jeden Wirklichkeitsbezug. Die kuriosen jemenitischen Wolkenkratzer waren mir aus dem nördlichen Landesteil bekannt. In der Wüstenleere Hadramauts muteten diese braunen, mit weiÃen Kalkmalereien dekorierten Burgen archaisch, urfremd, verwirrend an. Ur und Ninive mögen ähnlich in Lehm geknetet gewesen sein. Die Etagenhäuser erreichten solche Höhen, daà der Gedanke an Babylon sich aufdrängte, an jenen Turm, den die Menschen erbauten, um den Himmel zu berühren.
Die Paläste der Emire und der reichen Kaufleute von Hadramaut standen zu jener Zeit verwaist. Sie waren zu Museen geworden, durch die man die Oasenbauern und Nomaden führte, um ihnen die Verschwendung und den Luxus der früheren Ausbeuterklasse vor Augen zu führen. Die Besitzenden von gestern waren meist ins Ausland geflüchtet. Es waren geniale, wagemutige Händler, die aus der Oasenlandschaft aufbrachen, den Islam nach Malaya und Insulinde brachten und dabei immensen Reichtum anhäuften. Der Sklavenhandel mit der afrikanischen Ostküste hatte sich einst im Hafen Mukalla konzentriert, wo immer noch die Schwarzen die mühseligsten Arbeiten verrichten.
Im Innern Hadramauts tat sich die marxistische Revolution schwer mit der stockkonservativen Bevölkerung. In Tarim gab immer noch die erstaunlich zahlreiche Gemeinde der »Sayyid«, der Nachkommen des Propheten, den Ton an. Diese »Schurafa«, über deren Stammbaum sich streiten lieÃ, waren am bunt bestickten Tarbusch unter dem weiÃen Turban zu erkennen. In der Gesellschaftsstruktur hatte sich hier eine kastenähnliche Pyramide erÂhalten, an deren Spitze natürlich die Sayyed standen. Als wir das Freitagsgebet filmen wollten, lösten wir den Zorn der Propheten-Nachkommen aus. Der Mob rottete sich zusammen. Nur das energische Eingreifen unserer bewaffneten jemenitischen Begleiter, die den Frömmlern von Tarim mit progressistischer Geringschätzung begegneten und sie mit Kolbenschlägen auseinandertrieben, verhinderte unsere Steinigung.
DieOase Sheban war von Verfall und Untergang gezeichnet. Die Palmenhaine waren verdorrt. Die meisten Bewohner dieser einst blühenden Handelsstation waren abgewandert. Zwischen den rostbraunen Wohntürmen aus Lehm, deren Fensterornamente abÂbröckelten, spielten Schwärme von zerlumpten Kindern. Tief Âverschleierte Frauen drückten sich in die Torbögen, als
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