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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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verschwörerischen Umtriebe der schiitischen Mullahs.
    Die erdrückende Militärpräsenz der USA wurde dadurch nicht ernsthaft tangiert. Doch es stimmte nachdenklich, daß sämtliche Hauswände in den kümmerlichen schiitischen Dörfern von oben bis unten mit politischen Protestparolen bepinselt waren. Da ging es nicht so sehr um die Vertreibung der »landesfremden« sunnitischen Herrscherfamilie der Khalifa. Auch vom schiitischen Gottesstaat war nicht die Rede, und sogar von der andernorts gängigen Hetze gegen die Yankees und die Zionisten fehlte jeder Hinweis. Unaufhörlich wurde hingegen die Einberufung des aufgelösten Parlaments, die Wiederherstellung von demokratischen Verhältnissen, kurzum die Freiheit gefordert. Bei Abhaltung ehrlicher Wahlen – so konnte sich die Opposition ausrechnen – würden es die schiitischen Parteien automatisch zu einer eindeutigen Mehrheit der Abgeordneten bringen. Die Regimegegner des »Bahrein Freedom Movement« schickten Tag um Tag – zwischen vier und sechs Uhr morgens – unmittelbar nach dem ersten Weckruf des Muezzin ihre Aktivisten aus, um die Forderung nach Menschenrechten und Menschenwürde in aller Eile mit weißer Farbe an die Mauern und Wände zu malen. Im Morgengrauen nahten auch schon die offiziellen Sicherheitskräfte, um diese Spuren der Aufsässigkeit zu tilgen. Dabei kam es häufig zu Hausdurchsuchungen, Plünderungen und willkürlichen Verhaftungen. Am folgenden Tag ging das Spiel von neuem los. Unter den aufsässigen Jugendlichen befanden sich zahlreiche Mitglieder der »harakat el Bahrayn el islamiya«, aber zu meiner Verwunderung verzichteten diese Propagandisten auf antiamerikanische oder antizionistische Deklamationen. Wie früher schon auf dem Tahrir-Platz von Kairo waren sich die Freiheitsbewegungen offenbar bewusst geworden, daß man im Westen mit dem Ruf nach Wiederherstellung der politischen Rechte und bürgerlicher Toleranz mehr Sympathie gewinnen würde als mit Schmähungen des Uncle Sam oder mit religiösen Bekenntnissen.
    *
    ImPentagon wird man erleichtert aufgeatmet haben, als die Kriegsmaschine Saudi-Arabiens die Demokratiebewegung auf Bahrein niederwalzte. Der Erfolg einer »Jasmin-Revolte« auf dem zentralen Perlen-Platz der Hauptstadt Manama hätte für die amerikanische Orientstrategie verheerende Folgen gehabt. Eine auf die Schiiten-Mehrheit Bahreins gestützte Volksvertretung hätte die Insel zum Vorposten der Islamischen Republik Iran in unmittelbarer Nachbarschaft der gewaltigsten Erdölvorkommen Saudi-Arabiens und Kuweits gemacht. Die Fünfte Amerikanische Flotte wäre auf Dauer ihrer unentbehrlichen Basis im Persischen Golf nicht mehr sicher gewesen. Der Meerbusen des Indischen Ozeans, den die Araber den »Arabischen Golf« nennen, hätte sich in ein von Persien strategisch überschattetes Gewässer verwandelt.
    Realpolitik läßt sich mit humanitärem Idealismus eben schlecht vereinbaren. Aber wie kam es, daß die Bundesrepublik Deutschland, deren Politiker – in törichter Überschätzung der eigenen Bedeutung – der chinesischen Weltmacht und dem russischen Koloß unaufhörlich mit ihren Ermahnungen zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Ohren liegen, mit dem Zwangsregime von Er-Riyad engen Schulterschluß übte und gegen die Niederschlagung des freiheitlichen Aufruhrs in Bahrein durch die Panzer Saudi-Arabiens kein Wort des Tadels äußerte? Es war ja bezeichnend, daß der tunesische Staatschef Ben Ali nach seinem Sturz in Tunesien Zuflucht bei den Saudis fand.
    Im Sommer 2011 kam es immerhin zu einem Parteienstreit im Bundestag, als die Nachricht durchsickerte, die Bundeswehr solle zweihundert ihrer modernst aufgerüsteten Leo-II-Panzer an Saudi-Arabien liefern. Diesen Kriegsgeräten könnte doch nur die Aufgabe zufallen, eventuelle Umsturzversuche niederzukämpfen und jede Revolte zu ersticken. Eventuell hätten sie auch noch für die Repression eines Volksaufstandes in Jordanien getaugt. Natürlich würde auch Europa in eine verhängnisvolle Energiekrise gestürzt, wenn aufgrund unkontrollierbarer Unruhen in Saudi-Arabien die dortige Erdölproduktion zum Erliegen käme. Was die Waffenlieferungen an eine Vielzahl fremder Staaten betrifft, kann man der deutschen Rüstungsindustrieauf Dauer nicht zumuten, auf die Geschäfte zu

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