Arabiens Stunde der Wahrheit
friedliche Enklave, wo neben Teppichen mit der Abbildung Alis, des Schwiegersohns und Vetters des Propheten Mohammed, auch kitschige Darstellungen des Jesus von Nazareth und der Jungfrau Maria feilgeboten werden. In Karada sind sogar junge Frauen anzutreffen, die sich weigern, das ansonsten obligatorische Kopftuch zu tragen.
Zu unserer Vorbesprechung in der pompösen Empfangshalle des »Andalus« hat sich auch der Chef des Nachrichtenbüros, Sabah Hassan Ahmed, gesellt. Dieser ruhige und sachliche Kollege flöÃt Vertrauen ein und ist bestens informiert, was in dem politischen Wirrwarr, dem sich der Irak ausgeliefert hat, keine Selbstverständlichkeit ist. In seiner Begleitung befindet sich ein junges, dunkelblondes Mädchen, das ich auf vierzehn Jahre schätzen würde. Aber in Wirklichkeit ist sie mindestens zwanzig Jahre alt und kompensiert ihren winzigen Körperwuchs durch eine emanzipatorische Energie, wie ich sie selten bei einer Muslima angetroffen habe. Von ihren Kollegen wird sie »JoJo« genannt, trägt knappe Jeans und ein enges T-Shirt. Sie denkt gar nicht daran, ein Kopftuch oder gar einen Hijab überzuwerfen. Ich vermute, daà sie die Tochter einer gehobenen, säkular ausgerichteten Familie osmanischer Herkunft ist, die über erheblichen Einfluà verfügt. JoJo ist uns als »Fixer« zugeteilt, wie es im angelsächsischen Presse-Jargon heiÃt, und sie erledigt ihren Job mit einer an Dreistigkeit grenzenden Effizienz.
Was bleibt uns am ersten Abend anderes übrig, als im gemischten Bazar von Karada ein paar Bilder zu machen. Bei den irakischen Kollegen gilt â wie das bei einer Patrouille des britischen LancaÂshire-Regiments in Basra einst vorgeschrieben war â das lebensÂerhaltende Prinzip »keep moving«, in ständiger Bewegung bleiben, um nicht unberechenbaren Heckenschützen ein leichtes Ziel zubieten. Ich errege deshalb etwas Unruhe, als ich unbeweglich ein paar Minuten am StraÃenrand verharre, um mir die Schuhe putzen zu lassen.
Im »Andalus« wird nur ein spärliches Frühstück serviert. Unsere Mahlzeiten müssen wir uns andernorts besorgen. Im Karada-Viertel bietet ein orientalisches Restaurant vorzügliches Kebab, Kefte mit Humus und Tahine an. Dazu gibt es importiertes alkoholfreies Bier, das durchaus genieÃbar ist. Jojo hält offenbar nicht viel von den heimischen Gerichten. Sie bestellt eine riesige Portion PomÂmes frites und übergieÃt das Ganze mit einer Flut Ketchup und Mayonnaise.
Auf der Heimfahrt streifen wir das elegante Villenviertel Adhamiya, wo früher die Privilegierten des Saddam-Regimes ihr Luxusleben genossen. In Mansur sichten wir den exklusiven »Hunting Club«, wo zu Beginn des Feldzuges »Iraqi Freedom« die CIA gehofft hatte, den verhaÃten Diktator mit einem Cruise Missile zu erledigen. Jetzt fällt mir auf, was ich im StraÃenbild vermiÃt habe: Wir sind keinem einzigen amerikanischen Soldaten begegnet. Die noch im Lande verbliebenen Instrukteure und Spezialisten aus den USA, etwa 50000 Mann, verlassen ihre streng isolierten Unterkünfte nur im äuÃersten Notfall, während die von ihnen aufgestellte neue Nationalarmee des Irak ihrer Aufgabe als Ordnungshüter noch keineswegs gewachsen ist.
Bei zunehmender Dämmerung stellt sich ein Gefühl der Unsicherheit ein. Die Vielzahl der Panzerfahrzeuge, der Betonwälle und Militärstreifen verstärkt den Eindruck des Ausnahmezustandes. Für den gewöhnlichen Iraker und schon gar nicht für einen Fremden ist es ratsam, nach Einbruch der Dunkelheit die eigene Behausung zu verlassen. In Kreisen unserer einheimischen Informanten wird recht offen über die politische Sackgasse diskutiert, in die der Irak sich manövriert hat. Nach der Parlamentswahl vom 7. März 2010 ist keine eindeutige Regierungsmehrheit zustande gekommen. Das Ergebnis dieser Volksbefragung hatte die meisten Beobachter überrascht.
Ich will hier nicht das Kapitel Irak zu einer ausführlichen Beschreibungder innenpolitischen Querelen ausweiten. Als maÃgebliche Figur in diesem Spiel behauptet sich trotz mangelnden Charismas der schiitische Politiker Nuri el-Maliki, obwohl seine Daâwa-Partei durch seinen Rivalen Ayad Allawi, einen abtrünnigen Schiiten, der eine säkulare Verfassung anstrebt, um ein paar Prozent überrundet wurde. Maliki, ein konsequenter Gegner Saddam Husseins, war
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