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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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abholen und über die Strecke »Irish«, die angeblich feindlichem Mörserbeschuß ausgesetzt ist, ins Zentrum der irakischen Hauptstadt fahren. Mit Murad haben wir ein Erkennungszeichen vereinbart. Er steuert – an zahllosen Straßensperren und Kontrollen vorbei – zu unserem Ziel. Vom Hotel »El Rimal«, das von libanesischen Christen geführt wird und wo der Gast sogar Alkohol bestellen kann, war uns lebhaft abgeraten worden. Seit Saddam Hussein – in einer für ihn un­gewöhnlichen Toleranz – nicht mehr seine schützende Hand über die in vielfältige Konfessionen aufgespaltene uralte Christenheit ­Mesopotamiens hält, sind diese Glaubensgemeinschaften Überfällen und Erpressungen ausgesetzt, für die man Mitglieder der ominösen El Qaida verantwortlich macht. Jedenfalls ist der Exodus der »Massihin«, der Christen, nach Europa und Amerika in vollem Gange.
    Murad, der sunnitischer Muslim ist, setzt uns nicht im Hotel »Safir« ab, das uns ursprünglich als relativ verläßliche Unterkunft empfohlen wurde. Er steuert uns zum »Funduk El Andalus«, das vertrauenswürdiger sei. Mit dem Namen »El Andalus«, der in ­jedem Land des Orients anzutreffen ist und mit dem auf arabisch ganz Spanien gemeint ist, wird die Trauer über den Verlust dieses einstigen Bestandteils des Dar-ul-Islam an die Ungläubigen wach gehalten. Von außen macht das »El Andalus« einen recht kläg­lichen Eindruck und entbehrt des Stacheldrahtverhaus und der ­Zementblöcke, die aus dem Straßenbild Bagdads sonst nicht wegzudenken sind. Die Empfangshalle oder Lobby ist jedoch von prächtigen Ausmaßen, wölbt sich wie eine Kathedrale und ist mit kunstvollen blauen und grünen Kacheln gewandet.
    MeinerMitarbeiterin Cornelia Laqua, die hier wie so oft ihre Unerschrockenheit unter Beweis stellt, wird eine luxuriöse, wenn auch verstaubte Suite zur Verfügung gestellt. Jenseits davon, im obersten Stockwerk, logiere ich in einem ähnlichen Appartement. Wir sind offenbar die einzigen Gäste in dieser verwunschenen Karawanserei, in der sich der Schmutz von Monaten angesammelt hat. Das Personal scheint sich auf einen gebrechlichen alten Rezeptionschef zu reduzieren, der schon einmal bessere Tage erlebt hat. Unsere irakischen Kollegen haben uns davor gewarnt, mehr als vier sukzessive Tage am gleichen Ort zu nächtigen, sonst wäre ein Übergriff, eventuell eine Entführung nicht auszuschließen. Ich bilde mir ein, im Verlauf meiner langen Krisenberichterstattung einen Instinkt für akute Gefahren entwickelt zu haben. Bagdad offenbart sich schon beim ersten Kontakt als heimtückisches, unheimliches Revier, viel bedenklicher als die afghanische Hauptstadt Kabul, die ich wenig später aufsuchen will.
    Es kann nicht die Rede davon sein, in den Straßen von Bagdad mit einem deutschen Fernsehteam zu arbeiten. Es würde sehr bald zum Ziel eines Scharfschützen, und niemand würde uns erklären können, welcher politischen oder konfessionellen Richtung dieser Meuchelmörder angehört. Zur verabredeten Stunde trifft Murad mit der einheimischen Mannschaft ein. Qais, der Kameramann, ist ein gelassener, kräftiger Schiit, Zeuge zahlloser Bombenanschläge. Von den Mullahs seines Glaubenszweiges, der »Partei Alis«, hält er nicht viel. Die Sprengstoffattentate, räumt er ein, seien in den vergangenen Wochen seltener geworden. Die Terroristen seien dazu übergegangen, wichtige Gegner mitten im Menschengewühl mit einem Genickschuß zu beseitigen. Dabei bedienten sie sich eines Schalldämpfers. Die Zahl der täglichen Opfer könne niemand zählen, denn wie ich schon bei meiner Anfahrt feststellen konnte, haben die beiden verfeindeten Fraktionen der koranischen Gemeinschaft, Sunniten und Schiiten, das gewohnte Miteinanderleben aufgegeben. Die Angehörigen der jeweiligen Konfession haben hinter hohen Mauern getrennte Wohnviertel bezogen und kommunizieren kaum noch miteinander.
    Esgibt wohl nur noch eine Ausnahme dieser Abkapselung, das Geschäftsviertel Karada, wo Elektrogeräte und minderwertige Waren jeder Art angeboten werden. Dort genießen angeblich sogar die Christen eine gewisse Duldung. Die ausländischen Korrespondenten, die von der Stadt Harun el-Raschids ein kontrastreiches Bild vermitteln wollen, konzentrieren denn auch ihre Tätigkeit auf die relativ

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