Arabiens Stunde der Wahrheit
seinerzeit nur durch die Flucht nach Syrien, dann nach Iran der Hinrichtung durch den Tyrannen entkommen. Allawi hingegen war einst engagiertes Mitglied der Baath-Bewegung Saddams, gehörte vermutlich dessen Auslandsgeheimdienst an, ehe er sich in London vom britischen MI-6 anheuern lieà und mit extremer Not dem Mordanschlag seines früheren Auftraggebers entkam.
Der Erfolg Allawis läÃt sich nur dadurch erklären, daà sich eine beachtliche Zahl von Schiiten, die sich jeder Form von Theokratie verweigern, diesem energischen, zwielichtigen Mann mit dem Boxergesicht anschloÃ. Dazu kam das massive Votum der arabischen Sunniten des Irak, etwa zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung, die auf seine Kandidatur und seine Bewegung »Iraqiya« setzten. Daà Maliki dennoch eine Mehrheit der Abgeordneten für sich Âgewinnen konnte, verdankte er der starken kurdischen Fraktion, die sich gegen die zentralistische Straffung von »Iraqiya« stemmte, und dem überraschenden Bündnis mit seinem früheren Gegner Muqtada es-Sadr. Letzterer, der über die beachtliche Zahl von vierzig Abgeordneten verfügt, besitzt bei den jungen Leuten und beim kleinen Volk erhebliches Prestige. Sein Vater, ein auÃerordentlich beliebter GroÃayatollah, hatte den Armen und Entrechteten zur Seite gestanden, ehe er von den Schergen Saddam Husseins ermordet wurde. Muqtada, der stets mit dem schwarzen Turban der Propheten-Nachkommen auftritt, hatte vorübergehend den bewaffneten Kampf gegen die amerikanischen Besatzer aufgenommen. Im Gegensatz zu Maliki fordert er den sofortigen und totalen Abzug der noch in Mesopotamien verharrenden US-Truppen.
Die ersten drei Tage nach Ankunft am Berichterstattungsort sind die schwierigsten in diesem Metier. Die Wandlungen, die sich seit dem letzten Aufenthalt vollzogen haben, sind schwer zu deuten. Manbraucht Zeit, um das Gespür den neuen Gegebenheiten anzupassen und die Erkenntnisse zu ordnen. Ich gehöre eben nicht zu jener Kategorie Kollegen, von denen ein sehr prominenter Repräsentant mir einst mit entwaffnender Offenheit entgegenhielt: »Ich lasse mir meine vorgefaÃte Meinung doch nicht durch Erkundungen an Ort und Stelle wegrecherchieren.« Allmählich kommt jedoch Klarheit auf, und die Prüfungen, denen sich Mesopotamien weiterhin ausgeliefert sieht, lassen sich auf ein paar grundsätzliche Thesen reduzieren.
Zunächst stellt sich die Frage der amerikanischen Truppenpräsenz. Werden die letzten US-Kontingente, wie Barack Obama, aber auch schon George W. Bush ankündigten, den Irak Ende 2011 geräumt haben? Werden sie in ein paar Stützpunkten verharren? Darüber ist bereits der Streit der Parteien entbrannt. Die Kurden würden sich mit einem solchen Verbleiben durchaus abfinden. Die Mehrzahl der Sunniten, auch wenn sie das niemals öffentlich zugeben würden, sähen in einer Verlängerung des US-Mandats die Garantie, daà sie nicht der Willkür einer schiitischen Regierung, die sich auf das Potential von 65 Prozent aller irakischen Bürger stützen könnte, ausgeliefert wäre. Es hat sich ein bemerkenswerter Wandel vollzogen seit den ersten Jahren des Feldzugs »Iraqi Freedom«, als allein die sunnitischen Widerstandskämpfer sich gegen die U.S. Army im Dreieck Faluja-Ramadi-Mossul, vor allem in der Westprovinz Anbar, behaupteten.
Am Tigris wird gemunkelt, daà in diesem interkonfessionellen Wirrwarr die CIA eine Verbindung zu gewissen Elementen von El Qaida unterhielt, seit es den sunnitischen Freischärlern vorrangig darum ging, die Gläubigen der »Schiat Ali« in Schach zu halten. Der ruchlose Terrorist Abu Mussab el-Zarqawi, der aus Jordanien stammte, hat unter den Schiiten des Irak, deren Mausoleum von ÂSamara er verwüstete, unendlich mehr Opfer verursacht als unter den amerikanischen GIs, die er nur noch beiläufig bekämpfte. Als Zarqawi jedoch im Begriff stand, das Zweistromland in das Chaos eines Bürgerkrieges zu treiben, war es an der Zeit, ihn aus dem Weg zu räumen.
Diereligiösen und ethnischen Komponenten der Republik Irak sind innerhalb der eigenen Reihen gespalten. Selbst bei den Kurden stehen sich die Gefolgschaften Massud Barzanis im Westen und Jalal Talebanis im Osten mit tiefem MiÃtrauen und gelegentlichen Geplänkeln gegenüber. Dazu hat sich neuerdings noch die kurdische Reformpartei »Goran«, das heiÃt »Wandel«, gesellt. Bei
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