Arabiens Stunde der Wahrheit
»Semiramis« genossen, fiel mir die Vorstellung schwer, daà genau zehn Jahre zuvor, im Sommer 1941, ein mit Berlin abgekarteter Offiziersputsch gegen die landesfremde Haschemiten-Dynastie und deren britische Protektoren stattgefunden hatte. Elemente der deutschen Division Brandenburg waren in Bagdad gelandet. Sie wurden von der arabischen Bevölkerung jubelnd empfangen. Mit diesem tollkühnen Unternehmen, als Deutschland noch hoffte, die Panzer Erwin Rommels würden bis Kairo rollen, hatten diese kleinen verwegenen Trupps versucht, die Positionen des Empire mit einem Zangengriff von Osten her zusätzlich zu destabilisieren. Der Putsch von Bagdad wurde von der »Arabischen Legion«, die der Haschemiten-Emir Abdullah I. von Transjordanien unter Führung des britischen Generals Glubb Pascha zur Rettung seiner engen Verwandten in Marsch setzte, schnell niedergeschlagen. Aber seitdem blieb die Stimmung explosiv in Bagdad.
Die Amerikaner hätten gut daran getan, bevor sie sich zum kriegerischen Abenteuer »Iraqi Freedom« entschlossen, die Geschichte der britischen Mandatszeit zwischen den beiden Weltkriegen zu studieren. Das war eine Folge von nationalistisch und religiös motivierten Rebellionen gegen die neuen ungläubigen Herren aus London, die die türkischen Osmanen abgelöst hatten. Mit einer Massenerhebung der Schiiten im Umkreis des Schatt el-Arab hatte es begonnen. Im Norden kam es immer wieder zu Aufstandsbewegungender Kurden. Um deren Gebirgsdörfer zu neutralisieren, war die Royal Air Force in den zwanziger und dreiÃiger Jahren nicht davor zurückgeschreckt, Bomben mit Giftgas abzuwerfen. Saddam Hussein sollte sich später auf diesen Präzedenzfall berufen können.
Es dauerte bis zum Jahr 1958, ehe die Haschemiten-Dynastie am Tigris und deren Vertrauensmann Nuri Said dem blutrünstigen Militär-Coup des Generals Abd el Karim Qasim erlagen. Die verstümmelten Leichen wurden durch die StraÃen von Bagdad geschleift. Es verstrich wiederum eine Dekade, bis nach einer Serie von Gemetzeln die revolutionäre »Baath-Partei« sich mit General Bakr und dessen Nachfolger Saddam Hussein an die Macht schoÃ. Diese »Hizb el-Baath«, diese nationalistische und sozialistische Partei der arabischen Wiedergeburt, übt mit ihrem syrischen Flügel unter Präsident Bashar el-Assad heute noch in Damaskus die Regierungsgewalt aus.
Ursprünglich galt die Baath als eine fortschrittliche Bewegung im ganzen Orient. Kurioserweise ging ihre Gründung auf den christlich-orthodoxen Syrer Michel Aflaq zurück, der sich erst gegen das türkische, dann das französische Joch auflehnte. Gleichzeitig verschrieb er seiner Bewegung eine strikt säkulare Ausrichtung. Michel Aflaq ist im Jahr 1989 â lange nach der bitteren Entzweiung zwischen der syrischen und der irakischen Fraktion seiner Partei â in Paris gestorben. Er wurde in Bagdad mit einem pompösen Staatsbegräbnis und einem stattlichen Mausoleum geehrt.
Saddam Hussein, dessen Gefangennahme durch die Amerikaner am 13. Dezember 2003 als erniedrigende Komödie inszeniert und dessen Hinrichtung durch den Strang unter skandalösen Begleitumständen vollstreckt wurde, war alles andere als ein islamischer Fundamentalist. Wie sein verfeindeter Parteigenosse von Damaskus, Hafez el-Assad, der der häretischen Sekte der Alawiten anÂgehörte und die aufsässigen Muslimbrüder von Hama und Aleppo zu Tausenden massakrieren lieÃ, kannte der Diktator von Bagdad keine Gnade, wenn er eine fanatisch-religiöse Zellenbildung ÂaufÂspürte. Bei den Sunniten duldete er allenfalls die mystischenÂÃbungen der Derwisch-Orden, insbesondere der Qadiriya, die in ÂBagdad ihren Ursprung hatte. Für Wahhabiten, die sich an der reÂliÂgiösen Unduldsamkeit Saudi-Arabiens orientierten, oder für ÂSalaÂfiÂsten, die ein neues Kalifat, einen koranischen Gottesstaat anstrebten, gab es damals kein Pardon.
Ãhnlich ging der Sunnit Saddam Hussein gegen die schiitische Bevölkerungsmehrheit seines Landes vor, die er instinktiv als potentielle Gegner einordnete. Mit extremer Wachsamkeit und brutalem Polizeiterror hielt er die brodelnde Frömmigkeit in Schach, die im Umkreis der heiligen Stätten Nejef und Kerbela bei der Trauer- und GeiÃelungsprozession des Muharram-Monats aufkam und in Massenhysterie umzuschlagen drohte. Soweit sich der schiitische
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