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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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ansonsten ließ es sich durchaus leben im Irak Saddam Husseins, bis der Diktator durch kriegerische Abenteuer sein Land in den Abgrund riß.
    In strikter Ablehnung der pseudodemokratischen Phraseologie der Bush-Administration hatten deshalb diverse amerikanische Orientexperten – auf die leider niemand hörte – vorgeschlagen, nach dem Sturz Saddams nach einem neuen starken Mann, am besten nach einem relativ angesehenen General, Ausschau zu halten. Als Nachfolger in diesem von Gegensätzen zerrissenen Land kam den Spezialisten zufolge nur ein »wohlwollender Despot« in Frage, ein »Saddam Hussein light«.
    Zweifel am persischen
Gottesstaat
    Im Herbst 2010 gilt mein erster Erkundungsgang der schiitischen Sammelbewegung »Islamic Supreme Council«. Deren Hauptquartier befindet sich immer noch in dem wuchtigen Gebäude neben der zweistöckigen Brücke, wo früher einmal Tariq Aziz, der langjährige Außenminister Saddam Husseins, residiert hatte. Bewaffnete Uniformträger halten sich schußbereit hinter massiven Befe­stigungsanlagenauf. Es hat bereits mehrere Anschläge auf dieses Bollwerk der »Schiat Ali« gegeben. Mein Gesprächspartner aus dem Februar 2005, Abdul Aziz el-Hakim, der sich mit dem Titel »Eminenz« anreden ließ und einer der großen klerikalen Dyna­stien des Irak entstammte, ist inzwischen an Krebs gestorben und durch seinen Sohn Amer el-Hakim abgelöst worden. In dessen Abwesenheit werde ich an einen früheren Erdölminister und führendes Mitglied des »Höchsten Schiitischen Rates« verwiesen. Ibrahim Mohammed Bahar el-Alum empfängt mich in seinem geräumigen Büro, das mit vergoldeten, riesigen Sesseln ausgestattet ist. Er trägt einen europäischen Anzug mit offenem Hemd und wirkt soigniert mit seinem gestutzten, grauen Bart. Sein Englisch ist vorzüglich, und er tritt weltgewandt auf.
    Baher el-Alum bestätigt gleich zu Beginn, daß eine befriedigende Lösung des irakischen Konfliktes noch nicht in Sicht sei. Der Oberste Islamische Rat steht im Ruf, enge Kontakte zur iranischen Mullahkratie zu pflegen, und unterscheidet sich dadurch von der Regierungspartei Da’wa des Ministerpräsidenten Nuri el-Maliki. Aber auch hier legt man offenbar Wert darauf, nicht als Trabant Teherans angesehen zu werden, und distanziert sich von dem durch Khomeini verfügten Verfassungsgrundsatz der »Velayet-e-Faqih« – der Statthalterschaft des Schriftgelehrten im Namen des Verborgenen Imam. Die Unruhen, die Teheran im Jahre 2009 erschütterten, haben zusätzliche Zweifel am persischen Modell und dessen Stabilität geweckt. Der Oberste Islamische Rat tritt für eine föderalistische Staatsform ein. Das Erdöl müsse nationalisiert und der Gewinn daraus den verschiedenen Regionen zugeteilt werden.
    Die Intrigen der fremden Mächte – vor allem Saudi-Arabiens – stoßen auf resolute Abwehr, wobei schwer zu ergründen ist, ob die sogenannte Badr-Brigade, die dem Obersten Rat zur Verfügung steht, tatsächlich aufgelöst wurde. Die Männer, die den Schutz des Parteigebäudes ausüben, gehören wohl nur nominell der von den Amerikanern geforderten Nationalarmee an, was durch die ­­Prä­senz von kurdischen Peschmergas verdeutlicht wird, die im Neben­gebäude den Amtssitz des irakischen Staatspräsidenten, des KurdenJalal Talebani, abschirmen. Die letzten Amerikaner, so wird hier gefordert, sollten möglichst zügig aus Mesopotamien verschwinden und auch nicht versuchen, durch die Beibehaltung von Militärbasen die Fehler der einstigen britischen Mandatsmacht zu wiederholen.
    Am Ende verweist unser Gesprächspartner darauf, daß im neuen Irak der schiitische Zweig des Islam als oberste Richtschnur der Politik gelten müsse. So habe der Druck der hohen Geistlichkeit bewirkt, daß der ehemalige Baath-Politiker Allawi durch eine Koalition mit der radikalen schiitischen Formation des Volkstribuns Muqtada es-Sadr, dessen »Armee des Mehdi« sich auf die Stunde der gewaltsamen Auseinandersetzung vorbereitet, dem ungeliebten Ministerpräsidenten zur Behauptung seiner Regierungsführung verhalf.
    Zur gründlichen Information sollten wir nach Nejef fahren, rät uns Bahar el-Alum. Dort befinde sich das wirkliche Zentrum schiitischer Rechtgläubigkeit. Aber ich wußte längst, daß ich zu dem geheimnisvollen

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