Arabiens Stunde der Wahrheit
verbrecherischen Verwüstung anheimfallen, daà die Waffen fanatisierter Terroristen ein Blutbad unter den zur abendlichen Messe versammelten Jüngern Christi anrichten würden. Wir sind kurz vor dieser Tragödie über Dubai nach Afghanistan weitergereist.
Syrien
Vom Zuchthaus zum Schlachtfeld
Der verblichene Ruhm des Libanon
Beirut, November 2009
Esist nicht meine Absicht, eine ausführliche Beschreibung der diffusen Zustände Syriens vorzunehmen. Trotz seiner Nähe zu Europa ist dieses Land ein Hort von Geheimnissen und Widersprüchen geblieben. Immerhin haben in dem Zeitraum zwischen 1948 und 1970 nicht weniger als 21 Militärputsche und Staatsstreiche in Damaskus stattgefunden. Da es mir vergönnt war, über sechzig Jahre hinweg das Schicksal dieser Levante-Republik sporadisch zu beobachten, will ich auf ein paar selbsterlebte Episoden zurückgreifen.
Nach meiner Landung in Beirut im November 2009 und der Einquartierung im Hotel »Phoenicia« beeile ich mich, das kleine, aber gediegene Mezze-Restaurant aufzusuchen, wo ich am Rande des neu erbauten Bankenviertels einen früheren auÃenpolitischen ÂRedakteur der Zeitung LâOrient-Le Jour treffen will. Boutros, der bereits Platz genommen hat, ist in die Lektüre angelsächsischer Analysen über die Entwicklung des Islam vertieft. Seit dem endÂlosen Bürgerkrieg, der den Libanon zwischen 1975 und 1990 verwüstet hat, sind wir uns nicht mehr begegnet. Ich stelle fest, daà der einst so lebhafte christliche Maronit ein träger orientalischer Patriarch geworden ist. Aber seine kritische Intellektualität ist Âlebendig geblieben.Wir umarmen uns und gedenken der fernen Zeit, als die Hafenstadt der Levante als »Paris des Orients« gepriesen wurde. Wir erwähnen auch jene mörderischen Jahre, als es â unter Gefahr einer Geiselnahme â immerhin möglich war, die unterschiedlichsten Figuren der orientalischen Schattenwelt zu treffen: von Elie Hobeiqa, dem Anstifter des maronitischen Killertrupps, der über die Palästinenserlager von Sabra und Schatila hergefallen war, bis zu dem marxistischen Terroristenführer George Habbash, bei dem so manches Mitglied der deutschen Rote-Armee-Fraktion den Umgang mit SchuÃwaffen und Sprengstoff gelernt hatte, von Hussein Mussawi, dem finsteren schiitischen Inspirator von Selbstmordattentätern, die den amerikanischen und französischen Garnisonen von »Friedensstiftern« zum Verhängnis wurden, bis zu Yassir Arafat, der sich bereits als künftiger Staatschef eines unabhängigen arabischen Palästinas zu profilieren suchte.
Boutros hatte es damals verstanden, selbst gegenüber seinen christlichen Glaubensbrüdern, den »Kataeb«, einen kritischen Abstand zu wahren, was seine Verzweiflung am apokalyptischen Schicksal seiner heiÃgeliebten Zedern-Heimat nicht verringerte.
»Seit der gezielten Sprengung der gepanzerten Limousine von Ministerpräsident Rafik Hariri, die von westlichen Experten den Syrern angelastet wird, während die schiitische âºPartei Gottesâ¹, die Hizbullah, den Verdacht auf den israelischen Mossad zu lenken sucht, ist der Libanon vollends zum Symbol totaler Verwirrung in der arabischen Welt geworden«, beginnt Boutros sein politisches Exposé. »Die Amerikaner haben sogar versucht â nach dem MuÂster der Orange-Revolution in der Ukraine, der Rosen-Revolution in Georgien, der Tulpen-Revolution in Kirgistan â, eine Zedern-ÂRevolution in Beirut zu inszenieren. Aber sie haben ihre Rechnung ohne die demographische Ballung und die kriegerischen Fähigkeiten der libanesischen Schiiten gemacht.«
Es sei seltsam, daà viele amerikanische Orientalisten über profunde Kenntnis des Nahen Ostens verfügten, aber daà die Mahnungen dieser Experten am Potomac ungehört verhallten, fährt der Kollege fort. Da hatte ein hoher US-Diplomat, dem allgemeinen Meinungstrendtrotzend, festgestellt, daà der Westen sich nicht darÂauf beschränken dürfe, die Jahrestage des Falls der Berliner Mauer und das Auseinanderbrechen des Ostblocks zu feiern. Auch die Vernichtung des World Trade Center, die sich unter dem Kürzel »Nine Eleven« in das kollektive UnterbewuÃtsein Amerikas eingekerbt hat, dürfe nicht isoliert betrachtet werden.
Das Jahr 1979 sei das Schicksalsjahr eines profunden Umschwungs gewesen, vergleichbar nur mit der
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