Arabiens Stunde der Wahrheit
unrühmlichen Niederlage der vereinten arabischen Armeen im Sechstagekrieg gegen Israel, als 1967 nicht nur der Mythos des Nationalhelden Gamal Abdel Nasser verblaÃte, sondern auch die idealisierte Vorstellung einer mächtigen arabischen Nation, einer »Ummat el arabiya«, die vom Atlantik bis zum Persischen Golf reichen sollte. Seitdem könne â inmitten der Verschwörungen und Intrigen, mit denen die Staatenkette der Arabischen Liga sich gegeneinander auszutricksen sucht â von einer »Ummat el-arabiya« nicht mehr die Rede sein. Man erkenne keine Nation mehr an, sondern nur eine » Ummat el-islamiya«.
Das Jahr 1979 war laut Boutros durch drei Ereignisse gekennzeichnet, die den Status quo im »Broader Middle East«, wie die Amerikaner sagen, aus der Lethargie und Selbstverleugnung jener Despoten und Militärcliquen herausrissen, die sich bei allem GeÂzeter gegen den Zionismus als gefügige Trabanten der USA erwiesen. Die iranische Revolution des Ayatollah Khomeini schuf einen Gottesstaat sui generis, der von Präsident Bush junior als »Empire of evil« bezeichnet werden sollte, dessen Ausstrahlung jedoch auf die schiitische »Partei Alis« im Irak, im Libanon, in Afghanistan begrenzt blieb. Allenfalls wurde den sunnitischen Arabern von den persischen Mullahs in Teheran vor Augen geführt, wie heuchlerisch ihr KriegsÂgeschrei gegen Israel klang, wie wenig sie sich um das tragische Schicksal ihrer sunnitischen und arabischen Brüder PaläÂstinas in Wirklichkeit kümmerten.
Im Dezember 1979 hatte die Sowjetarmee zur blitzartigen Ãberrumpelung Afghanistans ausgeholt, und niemand ahnte damals, daà dieser Feldzug am Hindukusch fast zehn Jahre andauern, daà derdurch die afghanischen Mujahidin erzwungene Rückzug der russischen Besatzungstruppen den ersten deutlichen Hinweis auf den verblüffenden Verfall der moskowitischen Weltmacht liefern würde.
Wenige im Westen bemerkten den für die islamische Welt zutiefst aufwühlenden Aufruhr in Saudi-Arabien, der Mittelost-Experten am Londoner »Institute for Strategic Studies« zu der Aussage veranlaÃte, im Islam hätten 1979 »alle Bremsen versagt«. Im November fand die Erstürmung der Heiligen Stätten von Mekka durch eine Tausendschaft fanatischer Korangläubiger statt, die sich gegen den sündhaften Lebenswandel, die protzige Verschwendungssucht der saudischen Dynastie und gegen ihr Paktieren mit Amerika auflehnte.
Es waren keineswegs schiitische AuÃenseiter oder gottlose Marxisten, die das Attentat gegen die »Masjid el-Haram« und die Geiselnahme König Khaleds geplant hatten. Ihre Aktion miÃlang, weil der Monarch unpäÃlich war und nicht zum Gebet an der Kaaba Âgekommen war. An der Spitze des Aufruhrs stand ein 27jähriger muslimischer Zelot, Mohammed el-Qahtani, der sich selbst zum »Mahdi«, zum »Rechtgeleiteten«, zum Vorboten und Verkünder des Reiches Gottes ausgerufen hatte. Qahtani wollte zurückfinden zu den reinen Vorschriften des Früh-Islam. Die saudischen Prinzen von heute verdammte der selbsternannte Mahdi als eine Bande von Ungläubigen. Die Korangelehrten, die der Dynastie willfährig zur Verfügung standen, schloà er in diese Verurteilung ein.
Mohammed el-Qahtani war kein Landesfremder. Im Gegenteil, er gehörte der Sippe des Propheten an, und die bewaffneten Anhänger, die sich ihm anschlossen â Frauen und Kinder nahmen an dem heiligen Abenteuer teil â, waren allesamt sunnitische Araber. Vierzehn Tage lang haben die Aufständischen sich im Umkreis der ÂKaaba behauptet. Als die Masse der Bevölkerung ihnen nicht spontan folgte und die Engel des Himmels nicht zu Hilfe eilten, verschanzten sich die Rebellen in den riesigen Kellergewölben der Wallfahrtsstätte. Weder die Soldaten der saudischen Armee noch die ÂBeduinen der Nationalgarde waren in der Lage, den Widerstanddieses verzweifelten Haufens zu brechen. Zuverlässigen Quellen zufolge muÃten Sonderkommandos aus Jordanien â von französischen Gendarmen angeführt â die Gewölbe von Mekka stürmen. Auf beiden Seiten kam es zu schweren Verlusten. 62 überlebende Aufrührer wurden am 8. Januar 1980 öffentlich enthauptet, darunter der politische Führer der Bewegung, Juhayman el-Otaibi, der auch erst 27 Jahre alt war.
Was Boutros an diesem religiösen Konflikt auf
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