Arabiens Stunde der Wahrheit
heiligstem Boden nachträglich erheitert, ist die Tatsache, daà die saudische Prinzengarde in der Stunde ihrer höchsten Not sich an Frankreich gewandt und die Entsendung der Antiterror-Spezialisten der GIGN angefordert hatte. Diese Elitetruppe war überstürzt nach Saudi-Arabien eingeflogen worden, um den dortigen Militärs bei der Niederschlagung des salafistischen Aufstandes zur Seite zu stehen. Seltsames Schauspiel, wie Ungläubige aus dem Abendland â angesichts der Untauglichkeit der eigenen Streitkräfte â einspringen muÃten, um die weihevollsten Sakralbauten des Islam zu schützen. Seit der Verwüstung der Heiligen Stätten durch die ketzerischen Qarmaten des zehnten Jahrhunderts hatte keine solche Entweihung mehr stattgefunden.
Da der Zugang zur »Masjid el-Haram« nur gläubigen Muslimen gestattet ist, fragen wir uns, ob die französischen Gendarmen wohl einen Scheinübertritt zum Islam vorgetäuscht hatten, was durch die Rezitation der »Schahada«, des Glaubensbekenntnisses, relativ einfach ist, bestände nicht ebenfalls das Gebot, vor der Aufnahme in die islamische Gemeinschaft die Beschneidung der männlichen Vorhaut, die »Circoncision«, vorzunehmen. Es ist anzunehmen, daà die Glaubenswächter des Hauses Saud auf diese Prozedur, die eine vorübergehende Behinderung des kämpferischen Einsatzes nach sich gezogen hätte, verzichtet hatten.
Aus jenen Tagen, so argumentiert Boutros, datiert eine verstärkte Hinwendung des Hauses El Saud zu einer exzessiven Interpretation der Gesetzgebung des Propheten. Um die zutiefst fromme Bevölkerung und deren Imame, die Anstoà am Lebensstil und den Ausschweifungen der von Amerika protegierten Monarchie nahmen, zubeschwichtigen, wurde den Religions- und Sittenwächtern mitsamt ihrer Wächtertruppe der Mutawa die strikteste Durchsetzung der öffentlichen Tugendhaftigkeit und Sittenstrenge aufgetragen. Da ging es nicht nur um die grausamste Auslegung der Gesetze der Scharia, um den Zwang zu den vorgeschriebenen Gebetsübungen, um die religiöse Erziehung der Jugend und die strenge Trennung der Geschlechter.
Die fanatische wahhabitische Rechtsprechung fördert eine unerträgliche Intoleranz, die der brutalen Praxis der afghanischen Taleban in nichts nachsteht, ja diese sogar inspiriert haben dürfte. Die unerschöpflichen Finanzressourcen, die dem petroleumreichsten Staat der Welt zur Verfügung stehen, wurden in den Dienst eines weltweiten Missionierungsauftrages gestellt. Die Jünger des Koranpredigers Abd el-Wahhab aus dem achtzehnten Jahrhundert, dessen Familie mit der kriegerischen Sippe der Saud in der trostlosen nordöstlichen Wüstenregion des Nedjd eine enge familiäre Bindung eingegangen war, wurden zu den exaltierten Kündern einer überzogenen islamistischen Botschaft. In deren Namen wird heute von Bosnien bis nach Indonesien der Haà auf die Ungläubigen geschürt, der Bau zahlloser Moscheen ermöglicht und dem Heiligen Krieg vom Kaukasus bis Nord-Nigeria und Java ein solides Fundament verliehen.
Jedermann sollte wissen, daà die Terroranschläge von Nine Eleven nicht den Afghanen angelastet werden können, sondern daà es sich um ein fast ausschlieÃlich saudisches Terrorunternehmen handelte, ereifert sich Boutros. Dieses kuriose Königreich, das sich erst im Jahr 1925 mit Hilfe der Kamelreiter der »WeiÃen Armee« des Prinzen und späteren Königs Feisal Ibn Abdul Aziz des arabischen Kernlands Hedschas am Roten Meer mit den heiligen Stätten von Mekka und Medina bemächtigte, glich spätestens seit der Demütigung des November 1979 einem geostrategischen Januskopf. Auf der einen Seite wuÃten die jeweiligen Herrscher, die bis auf den heutigen Tag noch Söhne des groÃen Gründers und Kriegers Abdul Aziz Ibn Saud sind, daà sie dank ihres immensen Potentials an Erdöl für die amerikanische Supermacht unentbehrlich und von denin Washington üblichen Ermahnungen zur Einführung von Demokratie und Menschenrechten verschont blieben. Auf der anderen Seite wiegelten die wahhabitischen Missionare, die im Senegal und im Kaukasus ebenso heimisch wurden wie in Pakistan und den Süd-Philippinen, all jene muslimischen Völkerschaften auf, die sich bislang gemäÃigt und tolerant gegenüber Andersgläubigen verhielten.
Es fand bei diesen Eiferern eine systematische Frontstellung
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