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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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ungeheuren Verlusten die Verteidigungslinie der irakischen Armee zu durchbrechen suchten. Jetzt sind wir wieder einmal unterwegs nach dem Sanktuarium von Kerbela, wo der größte Held der schiitischen Leidensgeschichte, der Dritte Imam Hussein, unter einem goldenen Dom bestattet ist. Ganz ohne Bedenken tritt man eine solche Reise nicht an. Südlich von Bagdad ist es im Umkreis der Städte Iskandariya und Mahmudiya zu den schlimmsten Ausschreitungen zwischen Sunniten und Schiiten gekommen. JoJo verzichtet als säkular orientierte Sunnitin auf den Ausflug in die Hochburg schiitischer Frömmelei, wofür ich jedes Verständnis aufbringe. Statt dessen begleitet uns auf Weisung des Obersten Is­lamischen Rats ein stämmiger junger Mann namens Fadel. In Kerbela soll er sich als zuverlässiger Gefährte bewähren. Ich stelle fest, daß Fadel unter seiner Jacke eine schwere russische Pistole vom Typ Makarow angeschnallt hat.
    Wiees mir schon fünf Jahre zuvor auf der gleichen Strecke ­passiert war, schlafe ich nach dem Verlassen der Bagdader Vorstädte tief ein, während Cornelia Laqua sich in die unvermeidliche schwarze Abaya hüllt. Mit unserer schäbigen Karosse müssen wir recht harmlos wirken, denn wir erreichen unser Ziel, ohne durch die zahllosen Straßenkontrollen übermäßig belästigt zu werden. Die Pilgerstadt Kerbela ist kaum wiederzuerkennen. Als Schutz gegen die zahllosen Bomben, die bei den Wallfahrten der »Partei Alis« explodieren, sind die großzügigen Alleen, die zu den Mausoleen des Imam Hussein und seines heldischen Halbbruders Abbas führen, durch ein Labyrinth von Zementwänden und Sandsäcken versperrt.
    Die Szenerie steigert sich schier unerträglich, als ein Transport von Leichen, die nach Umrundung der Heiligen Stätten auf dem endlosen gesegneten Friedhof bestattet werden sollen, vom Wachpersonal angehalten wird. Nach langer Anreise sind die Toten oft in Verwesung übergegangen. Aber auch deren Särge werden aufgestemmt und die menschlichen Überreste mit peinlicher Sorgfalt nach Sprengstoff und Bomben untersucht.
    Die Präsenz Fadels erweist sich in dieser bedrückenden Atmosphäre des Argwohns als überaus nützlich. Unser Besuch ist offenbar angekündigt, denn ein paar örtliche Milizionäre übernehmen unser Geleit zu einer kahlen, ziemlich trostlosen Behausung, wo drei Mullahs uns mit Tee und Gebäck bewirten. Der älteste von ihnen, ein eifernder Schwätzer, geht uns mit der endlosen Aufzählung der Vorteile und Tugenden des Islam auf die Nerven.
    Wir empfinden es als Erlösung, als wir das gruftähnliche Gehäuse – es ist wohl eine der offiziellen Unterkünfte der hiesigen Hauza – verlassen. Durch ein schützengrabenähnliches Gewirr gelangen wir ins Freie. Hatten wir beim letzten Aufenthalt in Kerbela noch im Vorhof der Hussein-Moschee die makabre Prozession schiitischer Trauernder filmen können, die zum schaurigen Klang einer riesigen Trommel und quäkender Blasinstrumente mit einer Prozession von Särgen vor ihrer Bestattung das zentrale Heiligtum umrundeten, so werden wir dieses Mal auf Distanz gehalten und müssen die gleißende Kuppel aus der Ferne ins Objektiv rücken.
    Währendich meinen Aufsager vor der Kamera mache, muß ich mich mühen, das Schluchzen und Weinen einer aus Persien angereisten Wallfahrtsgruppe zu übertönen, die unmittelbar neben uns des tragischen Untergangs des Dritten Imam gedenkt. Hatte nicht Khomeini verkündet, daß die wahre schiitische Gläubigkeit sich an der Trauer, an der Verzweiflung über die Ermordung der heiligen Imame in der Nachfolge Ali Ibn Abi Talib erkennen lasse?
    Den Abstecher nach Nejef, wo ebenjener Ali bestattet ist, habe ich abgesagt. Dort gibt der unnahbare Ali es-Sistani den Ton an. Dieser hintergründige Greis hatte auf eine Fatwa verzichtet, die die ­irakischen Schiiten zum bewaffneten Widerstand gegen die amerikanischen Okkupanten aufgefordert hätte. Den Jihad überließ er in den ersten Jahren der US-Präsenz der sunnitischen Minderheit zwischen Faluja, Mosul und Baquba. Den amerikanischen Statthalter Paul Bremer, den untauglichsten Prokonsul, den Washington überhaupt entsenden konnte, hat er – ganz im Sinne der schiitischen »Taqiya« – in die Irre geführt und überlistet. Dieser gespen­sterhafte Geistliche hatte nicht nur die

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