Arabiens Stunde der Wahrheit
Forderung nach freien Wahlen akzeptiert, er hatte deren schleunige Abhaltung geradezu forciert, auch die Frauen kategorisch zum Urnengang aufgerufen in der GewiÃheit, mit Hilfe dieser geschmeidigen Taktik die Mehrheit im Parlament und die Berufung eines schiitischen Regierungschefs durchzusetzen.
Bis das US-Kommando sich der Folgen dieser politischen Ãberrumpelung und der Gefahr einer bedrohlichen Komplizenschaft zwischen den Schiiten des Irak und ihren Glaubensbrüdern des nahen iranischen Gottesstaates bewuÃt wurde, hatten die diversen Fraktionen der »Partei Alis« bereits vollendete Tatsachen geschaffen. General Petraeus, der damalige Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte in Mesopotamien, hat sich bemüht, dieser Entwicklung entgegenzusteuern, indem er mit jordanischer Beratung und Unsummen saudischen Geldes die Schuyukh der sunnitischen Stämme für eine Kooperation mit der U.S. Army zu gewinnen suchte. Mit der Aufstellung sogenannter »Erweckungskomitees«, das heiÃt sunnitischer Milizen, die sich unter dem Namen»Sahwa« formierten und sogar unter Duldung von Killertrupps der »El Qaida Mesopotamiens«, die für ihren pathologischen Schiitenhaà bekannt waren, hoffte er die sich abzeichnende Prädominanz Teherans an Euphrat und Tigris in Schach zu halten. Vielleicht hätte er â unter Einbeziehung einer beachtlichen Zahl säkularer Schiiten, denen vor der strikten Einführung klerikaler Prüderie grauste â Erfolg haben können, wenn nicht die geschlossene Volksgruppe der Kurden die Rehabilitierung der arabischen Sunniten, eine Revanche der Baath-Partei des gehenkten Diktators Saddam Hussein und eine Begrenzung ihrer fast eigenstaatlichen Autonomie im Norden des Landes befürchtet hätte. Für die Kurden, die sich fast ausschlieÃlich zur Sunna bekennen, gelten die irakischen Schiiten immer noch als das geringere Ãbel.
Insgesamt leben vier GroÃayatollahs oder »Ayatollah el Udhma« im Irak und jeder verfügt über seine eigene ergebene Gefolgschaft. Ob sie den Vorrang Ali es-Sistanis und dessen zögerliche Schachzüge leichten Herzens akzeptieren, ist fraglich. In Kerbela habe ich ein Wiedersehen mit einem dieser »Kurienkardinäle« der Schia, mit dem GroÃayatollah Mohammed Taqi el-Mudarissi vereinbart, mit dem ich schon ein paar Jahre zuvor ein aufschluÃreiches Gespräch geführt hatte. Mudarissi ist eine imponierende Erscheinung. Der mächtig gewachsene Mann mit dem graumelierten Bart und dem schwarzen Turban entfaltet eine gewinnende Jovialität und begrüÃt mich mit freundlicher Vertrautheit. Sein Auftritt entspricht in Âkeiner Weise der an Melancholie grenzenden Düsternis, die bei den hohen Mullahs sonst üblich ist. Neben diesem in Kerbela als »Mujtahid«, als berufener Interpret der schiitischen Theologie und Mystik, anerkannten Kleriker scheint der unergründÂliche Ayatollah Sistani sauertöpfisch und resigniert.
Dieser »Prälat« ist in Kerbela geboren und hat den Vorteil, daà er Araber und nicht Perser ist. Sistani hingegen kommt zugute, daà die streng abgeschirmte Stadt Nejef durch den massiven Zustrom persischer Neueinwanderer eine profunde ethnische Umschichtung erfährt. Die von Khomeini und seinem Nachfolger Ali Khamenei praktizierte Form des Gottesstaates, die »Statthalterschaft desâºFaqihâ¹ im Namen und im Auftrag des Verborgenen Zwölften Imam«, wird in der künftigen Verfassung des Irak wohl keinen Raum finden, hatte mir Mudarissi schon seinerzeit gesagt. Auch bei unserer Begegnung im Herbst 2010 läÃt er durchklingen, daà die schiitischen Iraner und Araber zwar durch den gemeinsamen Glauben zusammengeschweiÃt sind, daà der Ursprung ihrer Rechtgläubigkeit sich jedoch im arabischen Mesopotamien befinde. Dort hatte der Gründer-Imam Ali in der nahen Oase Kufa nur fünf Jahre lang seine vorbildliche islamische Herrschaft ausgeübt, ehe er hinterhältig erdolcht wurde. Die kurze Eroberung des Zweistromlandes durch die persische Dynastie der Safawiden im sechzehnten Jahrhundert sei dem Ansturm der osmanischen Sunniten unter ÂSelim I., dem Grausamen, nicht gewachsen gewesen. Diese Epoche sei sogar aufgrund der Lasterhaftigkeit, die in Isfahan am Hof ÂAbbas des GroÃen überhandnahm, bei der frommen hiesigen Gemeinde in übler Erinnerung geblieben.
Wie er das derzeitige
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