Arabiens Stunde der Wahrheit
Rafik Hariri mit dem vermutlichen Mörder ihrer Väter, dem syrischen Staatschef Hafez el-Assad.
Michel Aoun war noch weiter gegangen. Er akzeptierte ein Bündnis, das vor zwei Jahrzehnten noch unvorstellbar gewesen wäre. Dieser umtriebige Offizier bildete eine Koalition mit den schiitischen Parteien Hizbullah und Amal. Damit entzog er die Zedernrepublik der gewohnten amerikanischen Hegemonie. Da die streitbare »Partei Alis« im Libanon zur stärksten religiösen Gemeinschaft â fast fünfzig Prozent der Gesamtbevölkerung â angewachsen war und mit ihrer Hizbullah-Miliz über ein martialisches Instrument erster Güte verfügte, das der offiziellen libanesischen Nationalarmee weit überlegen war, vollzog sich ein politischer und gesellschaftlicher Erdrutsch. Die vom Westen hochgejubelte »Zedern-Revolution« der konservativen und bürgerlichen Gegenkräfte erwies sich nachträglich als lärmende Episode der privilegierten Klasse.
Mochten die syrischen Truppen auch aus dem Libanon verdrängt worden sein â das wirkliche Schwergewicht in dieser multikonfessionellen Republik liegt nunmehr bei den straff organisierten Schiiten, die zur Zeit meines Studienaufenthalts vor einem halben Jahrhundert noch als ketzerische AuÃenseiter, als »underdogs« und darbende Tagelöhner von Sunniten und Christen als »quantité négligeable« behandelt wurden. Es kam der seltsamen Allianz zwischen General Aoun und dem schiitischen Scheikh Nasrallah zugute, daà die streitbaren Hizbullahi bei ihrem unermüdlichen Kleinkrieg gegen die israelische Militärpräsenz im äuÃersten Süden Libanons auf die Waffenlieferungen angewiesen waren, die ihnen von ihren persischen Glaubensbrüdern über syrische Schleichwege zugeleitet wurden. Aoun muÃte wohl oder übel einen bizarren modus vivendi mit dem Diktator von Damaskus akzeptieren, dessen Kugelhagel er einst knapp entronnen war.
»Obwir es wollen oder nicht, hier führen alle Wege über Damaskus«, beschlieÃt Boutros den Klagegesang über seine einst blühende Heimat, deren maronitischer Patriarch und römischer Kardinal weiterhin auf seinem goldenen MeÃgewand den Bibelspruch trägt: »Gloria Libani data est ei â Ihm ward der Ruhm des Libanon gegeben.«
Die Fremdenlegion
im Djebl Drus
Damaskus, Oktober 2009
Wer immer sich mit dem Zustand des Fruchtbaren Halbmondes befaÃt, sollte die Aussage des General de Gaulle beherzigen, der in jungen Jahren in das französische Mandatsgebiet Syrien abkommandiert wurde: »Vers lâOrient compliqué, je partais avec des idées simples â In den komplizierten Orient brach ich mit einfachen ÂVorstellungen auf.« Als das Osmanische Reich nach dem Ersten Weltkrieg auseinanderfiel, sahen sich die beiden Entente-Mächte â England und Frankreich â, die das breite Territorium zwischen MitÂtelmeer und Persischem Golf unter sich aufteilten, mit einer extrem verworrenen Situation konfrontiert. Während der legendäre Lawrence of Arabia den revoltierenden Beduinen des Scherif Hussein von Mekka, die sich gegen den Sultan erhoben hatten, die Schaffung eines arabischen GroÃreiches vorgegaukelt hatte, wurde dieses Wunschbild durch die imperialen Ambitionen der Alliierten bereits zu Grabe getragen. 1916 wurde in aller Heimlichkeit das Teilungsabkommen Sykes-Picot vereinbart, das den Briten PaÂlästina und den Irak, den Franzosen den Libanon und Syrien zusprach.
Der verzweifelte Versuch des Haschemiten-Erben Feisal, Sohn des Scherif Hussein, der die türkischen Verbindungswege bis nach Südjemen erfolgreich sabotiert hatte, sich in Damaskus als Herrscherzu etablieren, scheiterte schon im Ansatz an den Eifersüchteleien und Disputen der diversen Emire und Stammesführer. Der massive Einmarsch französischer Truppen setzte allen panarabischen Plänen ein jähes Ende. Während die Franzosen sich zu jener Zeit auf die Loyalität der christlichen Bevölkerungsgruppen des Libanon stützen konnten, betraten sie in Syrien ein feindseliges, durch ethnische und konfessionelle Gegensätze zerrissenes Territorium.
Die Fremdenlegion wurde ausgeschickt, um im äuÃersten Süden den Aufstand der Drusen in jahrelangen Gefechten niederzuwerfen. Diese Angehörigen einer mysteriösen Sekte werden zwar offiziell dem Islam zugerechnet, huldigen jedoch in
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