Arabiens Stunde der Wahrheit
des Diktators mit der ungewöhnlich hohen Stirn zwang sich auf den Plakaten ein möglichst harmloses Lächeln ab. Henry Kissinger war von der brillanten Intelligenz, von dem raubtierähnlichen Ãberlebensinstinkt des Syrers weit mehr beeindruckt gewesen als von den geistigen Gaben des Ãgypters Anwar es-Sadat.
Immer wieder wurden wir von bewaffneten Posten angehalten, viele davon in nachlässigem Zivil, nur an der Kalaschnikow als Regimewächter und Milizionäre der Baath-Partei zu erkennen. Es war dann ratsam, sofort auf die Bremse zu treten, denn es wurde ohne Warnung geschossen. Schon in Damaskus fiel dem Besucher auf, daà das Ministerienviertel durch Sandsackbarrikaden, Stacheldraht und Spezialtruppenmit roter Mütze abgeriegelt war. Das ÂAssad-Regime war durch eine Vielzahl von Bombenanschlägen verunsichert. Die Geheimorganisation der Muslimbrüder rühmte sich dieser Ãberfälle und Attentate. Was 1951 nur in Ansätzen zu ahnen war â das Hochkommen der Muslimbrüder oder »Ikhwan«, das eifernde und gewaltige Aufbäumen gegen den säkularen arabischen Nationalismus â, war nun zur bedrohlichen Realität herangewachsen.
Andererseits kannte die Selbstverherrlichung Hafez el-Assads keine Grenzen. Ãberall wurde er als »Held der Befreiung«, als »Führer und Sohn des Volkes« gefeiert, als »arabischer Batal«, als »heldischer Löwe«. Trotz dieser schwülstigen Huldigung, trotz des erdrückenden Spitzelsystems erschien mir die Hauptstadt Damaskus als eine gelassene, etwas phlegmatische Metropole. Der Diktator hatte sein Ziel erreicht. Seit einer Dekade war er Staatschef der Republik Syrien, und die widerwillige, chaotische Baath-Partei hatte er ohne viel Federlesens auf Vordermann gebracht. Schwieriger war es offenbar, mit den Islamisten fertig zu werden. Die Ikhwan hatten schon in den frühen vierziger Jahren ihre ersten Zellen gebildet. Spätestens nach dem Militärcoup von 1963, als die linken Radikalinskis der Baath-Partei ihre »Revolution« einleiteten, gingen diese »Salafisten«, wie man heute sagen würde, in den konspirativen Untergrund.
Sie fanden Anklang bei den armen Bevölkerungsschichten und beim sunnitischen Bürgertum, widersetzten sich den Säkularisierungs- und NationalisierungsmaÃnahmen der »Feinde Gottes«, wie sie schon damals polemisierten. Sie riefen zum Heiligen Krieg auf, als die neue Verfassung des Jahres 1973 auf den Passus verzichtete, wonach der Staatschef Syriens stets ein sunnitischer Muslim sein müsse. Das Signal zum bewaffneten Widerstand war damit gegeben, denn Hafez el-Assad gehörte jener geheimnisvollen, der Schia verwandten Sekte der Alawiten an, die schon von den türkischen Kalifen als schlimme Ketzer verfolgt worden waren. Präsident Assad gelang es, die sunnitischen Korangelehrten, die Ulama von Damaskus, zur Ausstellung eines Persilscheins zu zwingen. Sie bestätigten ihm, daà er ein echter und gläubiger Anhänger des Prophetenund der Sunna sei. Dieses Possenspiel, das der schiitischen Taqiya entsprach, löste zusätzliche Entrüstung aus.
Immer wieder angehalten, unablässig überprüft, hatten wir die Stadt Homs auf der Fahrt nach Norden passiert. Der »Held des Volkes« lächelte auch dort in hundertfacher Vervielfältigung, aber das zentrale Amtsgebäude seiner Partei war durch einen Sprengstoffanschlag in der Mitte geborsten. Es ging weiter nach Hama. »Sie wissen, was in Hama vorgefallen ist?« fragte Samuel lauernd. Bei der Nennung dieser drittgröÃten Stadt Syriens verdüsterten sich stets die Gesichter. Hama war dem Baath-Regime von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Die konservative und streng sunnitische Opposition verfügte hier über eine Hochburg. Im März 1980 war in Hama und Aleppo bereits ein politisch und religiös motivierter Generalstreik von den Ikhwan ausgerufen worden. Bewaffnete Gruppen von Freischärlern machten Jagd auf linke Intellektuelle der Baath-Partei, auf Agenten des Sicherheitsdienstes, auf exponierte Persönlichkeiten des Assad-Regimes, vor allem auf Alawiten.
Unter dem Befehl des Präsidentenbruders Rifaat el-Assad wurde dessen Schlägertruppe, die »Verteidigungsbrigaden« oder »Pink Panthers«, auf die aufsässigen Bollwerke der »Reaktion« losgelassen. Dazu gesellte sich die gefürchtete Sonderbrigade des Oberst Ali
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