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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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intensiv auf das Brauen alkoholischer Getränke verlegt hatten. Ein abscheulicher Gestank umgab die Hütten, wo in unförmigen Kesseln eine dunkelbraune, zähe Brühe zum Gären gebracht wurde. In den primitiven Bierhallen herrschte rege Aktivität. Die lärmende, alkoholisierte Stimmung der Kunden wurde durch dröhnende Musik noch gesteigert. Amin hat sich naserümpfend zu mir gesellt. »Überall wo Sie einen weißen Stoffetzen über dem Dach entdecken, befindet sich eine Brauerei«, erklärte er. »Sie sehen, daß es daran nicht mangelt. Da leben diese Leute des Südens in einer fruchtbaren Gegend, wo ihnen praktisch alles in den Mund wächst. Dennoch beklagen sie sich über unzureichende Ernährung. Für produktive Landwirtschaft sind sie einfach zu faul.«
    Eine tragikomische Episode sei am Rande erzählt. Lasu Gale lud mich zu einer Gerichtsverhandlung in einem erstickend heißen Schuppen ein, wo – von einer dichten Menge umringt – ein betagter, weißhaariger Richter seine Entscheidungen nach altem Stammesbrauch fällte und keine Rücksicht auf die Scharia nahm. Der »Judge« hatte in seiner Jugend offenbar in einer Amtsstube der britischen Kolonialjustiz assistiert. Er war auf Würde bedacht und hätte am liebsten – wie seine englischen Vorgänger – eine weiße Perücke getragen. Der Disput zwischen den Partnern wurde in ­primitivem Elementar-Arabisch ausgetragen, das die meisten zu verstehen schienen. Der Kläger war ein etwa dreißigjähriger, ungepflegter Mann in einer dreckstarrenden Uniform, der seine siebzehnjährige Frau beschuldigte, ihn verlassen zu haben und es mit fremdenMännern zu treiben. Das Mädchen, das stark geschminkt und aufgeputzt auftrat, sei vor ihm schon viermal verheiratet gewesen, was nicht zu ihren Gunsten sprach. Während des Disputs klammerte sie sich weinend an ihre Mutter, eine mächtige, wütende Matrone, die die Verteidigung übernahm. Sie warf dem Ehemann vor, nicht in der Lage gewesen zu sein, ihre Tochter zu ernähren, und bot als Kompromißlösung die Rückerstattung des Brautpreises an. Der Richter verfaßte langsam und feierlich ein Protokoll, bei dem er sich der altertümlichen englischen Amtssprache bediente. Die untreue Gattin wurde zu einem Jahr Gefängnis und zu 25 Hieben – »lashes« – mit der Peitsche verurteilt, womit sich der »plaintiff« zufriedengab, während die Mutter mit gellendem Geschrei Berufung einlegte.
    Der Abend senkt sich schnell im Umkreis des Äquators. Meine Besichtigungsfahrt wurde durch die Nähe des Feindes begrenzt. Zu meiner Überraschung entdeckte ich eine katholische Kirche, die dem heiligen Joseph geweiht war. Laut Aussage Amins war das Gotteshaus an Feiertagen von Gläubigen stets überfüllt. Die anglikanische Konfession war mit einem Sakralbau im neugotischen Stil vertreten. Am aktivsten seien die Adventisten, die über viel Geld verfügten und im Verdacht ständen, Kontakte zum amerikanischen Geheimdienst zu unterhalten. Ich traute meinen Ohren kaum, als ich bei Einbruch der Dämmerung den Klang von Kirchenglocken vernahm, ein Geräusch, das frommen Muslimen mindestens so zuwider ist wie der Ruf des Muezzin einem konservativen Bayern.
    Zur Übernachtung wurde mir das zur Kolonialzeit als Treffpunkt elitärer britischer Geselligkeit renommierte Juba Hotel zugewiesen, das jetzt »Funduk al Salam – Hotel des Friedens« hieß. Auf dem nahen Flugplatz entdeckte ich die spitzen Nasen von drei geparkten MIGs sowie eine schwere Antonow-Maschine, die gerade auf der Piste ausrollte. Das Juba Hotel war auf unvorstellbare Weise heruntergekommen und verwahrlost. Der Gedanke, daß es hier einst herrschaftlich und imperial zuging, daß die britischen Offiziere und Administratoren in prächtigen Gala-Uniformen und die »Ladies« in der extravaganten Eleganz ihrer Epoche feierten, überfordertedie Vorstellungskraft. Die im afrikanischen Stil erbauten Gäste-Bungalows, die früher über jeden erdenklichen Komfort verfügten, hatten sich in erbärmliche Kraale verwandelt. Eine Pritsche mit schmutzigem Bettlaken war das einzige Mobiliar. Der Ventilator hatte längst seinen Geist aufgegeben. Beleuchtung war auch nicht vorhanden. Der Gast mußte froh sein, wenn rötliches Wasser aus dem verrosteten Hahn des Waschbeckens

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