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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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tropfte.
    *
    Nach einer phantastischen Farbensymphonie versank nunmehr das Firmament in dunklem Samt, aus dem die Gestirne wie Goldklumpen funkelten. Das Abendessen – ein fades Fischgericht – war schnell verzehrt. Trostlose Stimmung kam auf. Da lud mich Amin in offiziellem Auftrag ein, an einem Festprogramm, er nannte es »Barnamij«, teilzunehmen. Ich willigte ohne Zögern ein. Schon von weitem dröhnten vom Meidan im Zentrum Jubas mystische Gesänge – im wesentlichen islamische Kampflieder und Koranrezitationen – zu uns herüber. Etwa tausend Menschen waren dort versammelt. Die Männer trugen den weiß-wallenden Burnus der Sudan-Völker oder die Tarnuniform des Militärs. Die meisten Frauen hingegen – sie gaben offenbar den Ton an – hatten den hellgrünen Tschador der »Volksverteidigungskraft – quwat el difa’ es sha’biya« angelegt, von dem sich die schwarzen Gesichter vorteilhaft abhoben. Sie waren mit dem unvermeidlichen Sturmgewehr bewaffnet. Angesichts des gesteigerten Selbstbewußtseins der weiblichen Truppe fragte ich mich, ob nicht eines Tages die längst fällige Emanzipation der Musliminnen sich auf dem Weg der kriegerischen Bewährung durchsetzen könnte.
    Ich war der einzige Nichtafrikaner in dieser Runde und wurde von den Honoratioren zur vorderen Sitzreihe der Ehrengäste geführt, wo sich Korangelehrte, hohe Beamte und Offiziere niedergelassen hatten. Zu meiner Überraschung entdeckte ich unter den »Ulama« auch den christlichen Minister für »peace and rehabilitation« Lasu Gale, der weiterhin als »clergyman« gekleidet war. Trotzder eifernden religiösen Grundstimmung ging es heiter, brüderlich und ausgelassen, kurzum sehr afrikanisch zu. Das »Barnamij« stand unter dem Motto »leilat el fidha el kubra – Große Nacht der Hingabe«. Auf der Rednertribüne lösten sich die Prediger ab. Sie verdammten den Rebellenführer Garang, der erst mit den gottlosen Sowjets, dann mit den amerikanischen Kapitalisten paktierte. Sie prangerten den Verrat der arabischen Vasallen der USA, vor allem der saudischen Dynastie, an. Immer wieder wurde das Symbol der heidnischen Aufrührer, die Giftschlange »Anyanya«, diese widerliche Ausgeburt des »gesteinigten Satans«, verflucht.
    Ein Korps weiblicher Jihadisten – die AK 47 fest umklammert – bemächtigte sich der Mikrophone. Mit schrillen Stimmen betonten sie ihre Opferbereitschaft auf dem Weg Allahs, verfielen in ek­statische Begeisterung und fanden kein Ende mit ihrer Litanei. Zahlreiche Männer waren inzwischen aufgesprungen. »Takbir«, ertönte eine gebieterische Stimme, und die Versammlung wiederholte dreimal den Ruf »Allahu akbar«, der auch von den Uniformträgern eines vorbeifahrenden Lastwagens aufgenommen wurde. Die Soldaten fuhren zur Front, und bis dahin war es nicht weit.
    Der Rückblick auf dieses Happening am Rande des Äquators hat sich mir als starkes Erlebnis erhalten, zählt zu jenen Ȏmotions fortes«, die das Leben lebenswert machen. Auf magische Weise fühlte ich mich um ein Jahrhundert zurückversetzt in jene Stunde mystischen Aufbruchs, als die Gefährten des »Mahdi« sich zur begeisterten Aufopferung für die Sache Allahs rüsteten. Die Masse der weißgekleideten Tänzer wiegte sich in pendelndem Rhythmus. Die Bewegungen der Kulthandlung beschleunigten sich. Dann ertönte die unaufhörliche, beschwörende Beteuerung: »La Illaha illa ­Allah!« Die Gestik der Tänzer wirkte teils feierlich, teils grotesk. ­Sogar der christliche Minister Lasu Gale fuchtelte mit seinem Häuptlingsstab. »El Sudan wahad – Ein einziger Sudan«, so lautete die politische Losung. Der Taumel artete jedoch zu keinem Zeitpunkt in Trance aus.
    Ob ich an der Zeremonie nicht teilnehmen wolle, wurde ich von meinem Nachbarn, einem würdigen Imam mit Rauschebart, gefragt.Schon nahmen mich zwei weißgekleidete Knaben an der Hand und geleiteten mich in das Gewühl. Die Bewegungen des »Dhikr« waren denen einer europäischen Disco nicht unähnlich. Ich verspürte keine Hemmung, in den Chor einzustimmen und zu bekennen, daß Gott groß ist – Allahu akbar – sowie daß es außer Gott keinen Gott gebe.
    Am Ende wurde der Chor der Sufi und Derwische von Juba durch die

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